21.3.2021. Tag- und Nachtgleiche: Will.ie geht und lässt Elpis zurück

Trüb und schwer ist die Atmosphäre an diesem ersten Frühlingstag. „Warum trägst du neuerdings auch immer schwarz“, rügt mich Will.ie. „Da wird ja sogar der Himmel trübsinnig. Wie wärs mit diesem rosa Pulli?“ und sie fischt ein ausrangiertes Ding aus dem Sack, den ich immer noch nicht zur Kleiderspende gebracht habe. „Rosa? Ausgerechnet rosa? Na, meinetwegen. Wenns hilft…“ Ergeben ziehe ich es über das Schwarz. Und so brechen wir auf, um den Frühling zu begrüßen. Der grüßt rosa zurück:

Hier könnte ich meine Erzählung für heute beenden. Aber sie geht noch weiter. Irgendwas ist mit Will.ie los. Sie lächelt auf eine Art, die ich bei ihr sonst nicht kenne. Als ob sie mit einem Gedanken schwanger ginge. Und wie wir so auf unseren Wegen wandern und den traurigen Hund und die Hühner, die er bewachen muss, begrüßen – ja, natürlich auch die beiden Hähne!  -, versuche ich, sie auszufragen.

„Woran denkst du gerade?“ – Will.ies Lächeln kann ich nicht entziffern. „Sei nicht so ungeduldig“, sagt sie. „Du wirst es früh genug erfahren.“ Also wandern wir weiter und steigen zum Strand hinunter, wo das Meer in gewohnter Art gegen die Steine am Ufer rennt und ein bisschen schäumt.

Gemeinsam betrachten wir die Steine, legen auch den einen und anderen um, so dass die Gesichter, die die Steine schneiden, deutlicher werden.

Will.ie legt noch ein Selfie :

und sagt dann: „Ich bin nun erwachsen und muss mich um erwachsene Dinge kümmern, liebe Gerda. Leg du nur weiter deine Bilder und zeichne Häuser, begrüße Hunde und was der Dinge mehr sind, die einer alten Frau angemessen sind. Ich aber muss gehen. Ich danke dir sehr, dass du mich erfunden und bis jetzt begleitet hast … , nun schau nicht so traurig! Mein Abschied war doch abzusehen. Die Welt ist groß und braucht mich. Und ich brauche sie. Ich muss verstehen, was gespielt wird, und wie ich mich einschalten kann.“ –

„Und ich?“ murmele ich und versuche, meine Tränen zurückzuhalten, denn natürlich hat Will.ie recht und eigentlich sollte ich mich freuen. Will.ie umarmt mich, gibt mir einen ungestümen Kuss und flüstert: „Ich lasse dir mein Kind zurück, das ich heute Nacht geboren habe. Du verstehst: An Tag- und Nachtgleiche beginnt etwas Neues. Wenn du heimkommst, findest du es. Das Baby heißt Elpis, zu deutsch Hoffnung.“ 

Ihr Kind! Sie war tatsächlich schwanger, und ich habs nicht gemerkt! Aber klar, etwas ging in ihr vor, das fiel sogar mir auf. Sie war Guter Hoffnung und hat sie nun geboren und Elpis genannt.  „Und wohin gehst du als erstes?“ frage ich noch. „Vermutlich nach Afrika. Keine Sorge, ich melde mich regelmäßig, bin ja nicht aus der Welt.“ Und weg ist sie. Wo sie eben noch gestanden hat, ist nun nur noch ein rosa Fleck auf dem Beton zu sehen.

„Afrika“, denke ich. „Zu den Ursprüngen zieht es sie zurück“. Und wie ich so stehe und schaue, liegt eine Steinplatte vor mir, und daneben liegt ein Stück Holzkohle im Kies. Und ich zeichne und grüble und wünsche  Will.ie alles alles Gute! Möge sie alles erreichen, was sie sich vorsetzt.

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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33 Antworten zu 21.3.2021. Tag- und Nachtgleiche: Will.ie geht und lässt Elpis zurück

  1. Leela schreibt:

    Dann wünsche ich Will.ie viel Glück auf ihrer neuen Reise. Begleitet dich jetzt Elpis bei den neuen Geschichten?

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    • gkazakou schreibt:

      Das hoffe ich doch! (Elpis bedeutet Hoffnung), Genaues weiß ich nicht. Will.ie hat ihrerseits versprochen, von ihren Abenteuern zu berichten. Man wird sehen. Oder hast du vielleicht schon Antworten, Leela?

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      • Leela schreibt:

        Varoufakis war für mich eine Hoffnung… ganz gestorben ist sie noch nicht seit es die DiEM25 gibt… aber das ist Politik und damit beschäftigt sich Elpis bestimmt noch nicht. Und Will.ie muss aufpassen. Afrika ist vielerorts ein gefährliches Pflaster geworden. Als Frau alleine… Sie soll sich bloß mal nicht kidnappen lassen… aber wer weiß, vielleicht hat sie ja auch schon einen Beschützer an ihrer Seite… Ich bin ein bisschen altmodisch und denke, es wäre besser so für eine Frau…

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    • gkazakou schreibt:

      Für mich ist Varoufakis kein positives Beispiel eines Politikern. Denn anderes ist, klug zu sein und radikal zu denken, anderes, eine gute Politik zu machen.

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  2. hollaholle schreibt:

    Und ich schenke dir noch Zuversicht dazu … dann wird’s gelingen ! 🙂 Herzlicher Gruß, Elli

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  3. linienspiel schreibt:

    Das zu lesen hat mich jetzt ein wenig schwermütig werden lassen; loslassen … – alles Gute Will.ie!
    Und willkommen Elpis, mögest du Erfüllung finden!
    Liebe Gerda, rosa steht dir gut, finde ich. 🙂

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    • gkazakou schreibt:

      Ich bin auch ziemlich mitgenommen, liebe Beate, von Will.ies plötzlichem Abgang. Erst verschwindet Will.i und kommt als Rothaut Will.ie aus den Staaten zurück, dann verschwindet Will.ie und hinterlässt nichts als einen Hoffnungsschimmer, eine winzige Elpis….Aber wer weiß, vielleicht kommt sie ja doch irgendwann zurück? (juhu, Hoffnung!) Ceteris paribus passt hier Schiller (Glocke):
      Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe.
      Er stürmt ins Leben wild hinaus,
      Durchmißt die Welt am Wanderstabe.
      Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus.
      Nur dass es hier die junge Frau ist, die sich losreißt … um vielleicht als alter Mann zurückzukehren. Wer will das wissen? Warten wirs ab. 😉

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  4. lyrifant schreibt:

    Rosa geht immer, hihi. Doch im Ernst: Hui, was sich da doch für Metamorphosen ergeben für das Jahr 2021! Spannend, Deine unerschöpfliche Fantasie!

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  5. finbarsgift schreibt:

    Bye bye Will.ie
    Bonjour Elpis
    Fein sind deine Einfälle und Geschichten liebe Gerda. Danke dafür!
    Herzliche Abendgrüße vom Lu

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  6. wildgans schreibt:

    Ein Kommen und Gehen bei dir. Das Leben eben, rosa Pullis nix dagegen…
    Perlen des Neuanfangs, immer wieder…
    Nächtliche Grüße von
    Sonja

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  7. Melina/Pollys schreibt:

    Liebe Gerda, Du warst Will i und Will ie eine gute Mutter! Eine gute Mutter lässt ihre Kinder los, wenn sie soweit sind, so muss es laufen, wenn es gesund abläuft. Und es spricht für Euch beide, dass sie Dir ihr „Kleinod“ ihr Kind zurückgelassen hat – nein anvertraut. Sei nicht traurig, Will ie hat Dir etwas ganz, ganz Wichtiges hinterlassen: HOFFNUNG

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    • gkazakou schreibt:

      Danke Melina. Du hast schon recht, man muss mit dem zufrieden sein, was einem bleibt. Es ist gut, dass die starken Willensimpulse „Will.i und Will.ie sich nun in die weite Welt begeben haben. Mir bleibt die Hoffnung, dass sie helfen, „die Erde zu einem besseren Ort zu machen“. immerhin ist auch das nicht wenig. Ich hoffe also, dasssie nicht gegen Ende hier angekrochen kommen, alt und müde, und sagen: leider war nix zu machen.

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  8. elsbeth weymann schreibt:

    ΕΛΠΙΣ !🙃
    Buchenknospen , die täglich dicker werden…unter dem vereisten Zweig.
    Gestern…an der Krummen Lanke, auf meinem Morgengang gefunden.

    Pass gut auf die kleine Elpis auf!! begleiten…und begleitet werden(!)… So ist das dann ja, bei, mit allen Kindern.
    Und dann noch Briefe aus Afrika von Will.i/e.
    Dann wird´s werden !
    Ich bekomme auch gelegentlich Post aus Afrika. Wenn es mal “ ein Netz“ gibt….
    Meine Nichte ist dort zusammen mit ihrem Mann.
    In Sierra Leone.- Bei Ärzte ohne Grenzen.
    Es gibt so viele hoffnungsvolle, ideenreiche, einsatzbereite , mutige junge Menschen heute.
    Das ! gibt mir Hoffnung.
    Liebe, herzliche Grüße !
    Elsbeth
    (mein Foto konnte ich nicht hereinkopieren)

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  9. PPawlo schreibt:

    Da habe ich ja einem wichtigen Moment mitbekommen! Diesen Abschied beschreibst du sehr berührend! Ja, ich erinnere mich, Rosa steht dir gut! Doch dein Ausdruck ist schmerzerfüllt. Hoffentlich nur für die fantasievolle Geschichte! LG Petra

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  10. Du siehst müde aus auf dem rosa Bildchen, liebe Gerda.
    Elpis hat sie Dir dagelassen? Eine Mutter, die ihr Kindchen zurückläßt? Aber bei Dir wußte sie es ja auch in guten Händen.
    Wie gut zu wissen, daß bei Dir ein Schimmer von Hoffnung eingekehrt ist,Gerda!

    Und immer ist da Bewegung, wo Menschen sind, wo sie sich zusammentun und ein gemeinsames Ziel haben. Das denke ich, während ich mir Deine Kohlezeichnung im Stein betrachte.

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  11. Pingback: Bilder und ihre (Entstehungs-)geschichten – Linienspiel by Beate Gütl

  12. romanfidel schreibt:

    Salut Gerda! Mein Gegenbesuch. Und ich dachte tatsächlich, auf WP schreiben nur Trottel wie ich. Pustekuchen! Was für ein wunderschönes Märchen! Ein Prost auf Elpis, santé !

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    • gkazakou schreibt:

      Danke Roman Fidel! An Trotteln mangelt es nicht. Ich bin auch so eine, die nicht aufhört damit, Leuten zu erzählen „worum es eigentlich geht“. 😉 Wenn dir meine Erzählung gefällt, schau mal zurück: Will.i (ich will) kam am 1.1.2021 auf die Welt (wie jeder weiß) und wird am 31.12.2021 das Zeitliche segnen. Inzwischen zeichne ich ein paar seiner bzw ihrer Erfahrungen und Taten auf, soweit sie mich nicht überfordern. Die Geburt der Elpis war das bisher Letzte, was ich von ihr hörte. Nun sitze ich mit der winzigen Elpis da und schaue ihr beim Wachsen zu, aber es ist, als wollte ich dem Gras beim Wachsen zuschauen: sie will einfach nicht größer werden.

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  13. Johanna schreibt:

    Liebe Gerda, gerade sagte ich heute, wie sehr ich Deine Wortkunst liebe.. wunderbar ‚echt‘ und berührend. Die Hoffnung, ja die stirbt zuletzt… so sagt das Sprichwort. Und so erlebe ich Hoffnung wie eine leise Zukunftsmelodie, die auf den Frühlingslüftchen herüberwehen… woher, kann ich nicht erkennen…

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