Will.i liebt das Zählen – ich habe es schon erwähnt. Seit er das Sechseck der Schneekristalle entdeckte, dazu auch die sechsblättrige Asphodelenblüte, ist sein Zählen etwas weniger mechanisch geworden. Er fragt nach Zusammenhängen. Besteht einer? Und wenn ja, welcher? Als modernes Kind ist das Internet seine Hauptinformationsquelle, ich spiele nur noch am Rande eine Rolle. Dann nämlich, wenn ihm von dem, was er gelesen hat, Fragen übrig bleiben. Ja, meint er denn, ich sei wissender als das WWW?
Heute hat er gelesen, dass Blumen rechnen können. Die Zahl ihrer Blätter würden einer bestimmten Zahlenreihe gehorchen: 0,1,1,2,3,5,8,13,21,34,55 und die habe ein Herr Fibunacci erfunden. „Wie denn“, fragt er mich also, „haben die Blumen studiert? Kennen sie den Herrn Fibunacci?“ – Ich muss sagen: die Frage ist genial. Kennen die Blumen den Herrn Fibunacci? Oder war es nicht umgekehrt Herr Fibunacci, der die Blumen studiert hat, und es sind durchaus nicht die Blumen, die rechnen können, sondern der Herr Fibunacci?
Wie dem auch sei: Als erstes besahen wir uns die Fotos, die ich in den letzten Tagen aufgenommen habe, um die Sache mit den rechnenden Blumen zu überprüfen. Da fanden wir bei der Mandelblüte fünf, bei der Anemone acht Blütenbätter, fein, das passte. Aber die sechs der Narzisse? Nicht nur die Asphodele, auch andere Frühblüter lieben ja diese Zahl. Ich fand sie als Narzisse im Blumenstrauß der Tankstelle ebenso wie, sehr kleinwüchsig und blau, auf den Felsen am Strand. Die Sechs aber kommt bei Fibunacci nicht vor.
Das fällt natürlich auch dem Will.i sofort auf, denn er hat die Reihe 0,1,1,2,3,5,8,13,21,34,55 gleich eingespeichert und auch die Regel begriffen: Man muss eine Zahl immer mit der vorangegangenen addieren, um daraus die folgende zu erreichnen. Null gibt es in der Natur nicht, man beginnt also mit 1 und rechnet 1, 1+1=2, 2+1 = 3, 3 +2 = 5, 5 + 3 = 8, 8 + 5 = 13, 13 + 8 = 21, 21 + 13 = 34, 34 + 21 = 55, 55 + 34 = 89, 89 + 55 = 144 usw. Keine sechs!
Vielleicht ist etwas anderes gemeint? rätsele ich. Mir gefällt ja die Vorstellung, dass die Blütenblätterzahl ebenso wie viele andere Phänomene der Natur diesem so eleganten Wachstumsgesetz folgt, und ich möchte den Gedanken gerne aufrechterhalten: Wenn ich mich auf einer gewissen Stufe der Entwicklung befinde, schaue ich zurück auf die Stufe, die ich zuvor erreicht hatte, und integriere sie, um den nächsten Schritt zu wagen. Das gibt mir eine sichere Basis fürs Voranschreiten. Bin ich auf 8, schaue ich zurück auf die 5, integriere sie und gehe voran zur 13. Perfekt. Aber wie passt da die Sechs der Asphodele, der Narzisse und so mancher anderen Frühblüherin ins Spiel?
„Vielleicht ist etwas anderes gemeint“, sage ich zu Will.i. „Komm, wir gehen in den Garten und schauen, ob wir die Lösung finden“. Da fanden wir alles Mögliche, nur nicht die Lösung. Außer all den Blüten, die sowieso andere Formen haben – Lippenblütler, Schmetterlingsbütler – fällt mir der gelbe Klee ins Auge, während Will.i eine winzige weißliche vierblättrige Blüte entdeckte. „Ha, vier ist auch nicht in dieser Reihe!“ ruft er.
Aber etwas muss doch dran sein an dieser im Netz wiederkehrenden Behauptung, dass die Blüten rechnen können und die Blütenblätter der Fibunacci-Reihe folgen. Es gibt dort auch Hinweise auf das Gänseblümchen und das Abzählen der Blütenblätter nach dem Vers: „Er liebt mich, er liebt mich nicht“. Ja, sogar Hinweise, wie man zu dem gewünschten Ergebnis kommt („er liebt mich“).
Da schauen uns eine kleine Margarite und ein Löwenzahn freundlich an. „Komm, wir zählen mal die Blätter“, schlägt Will.i vor. Mir widerstrebt es, ehrlich gesagt, die beiden Hübschen zu zerrupfen, aber Will.is Wissensdurst und Zählwut sind nun nicht mehr zu bremsen. Also tragen wir die beiden ins Haus und zerpflücken sie.
Und was zählen wir? Na? Ich verrate es euch: 13 und 55! Und die gehören nun tatsächlich in die Fibunacci-Spirale.
Falls jemand von euch Naturkundigen etwas dazu beitragen könnte, die Zahl von Will.is Fragezeichen zu verringern: Bitte! Weißt du etwas über die Zahl von Blütenblättern? Hast du vielleicht auch eine Erklärung dafür, warum Blüten die Vier und die Sechs haben können, die durchaus nicht in die Reihe gehören, während Margarite und Löwenzahn sich wunderbar an die Regel halten?
oh! Ich muss gestehen, davon habe ich noch nichts gelesen oder gehört. Bin gespannt, was die anderen so beizutragen haben 🙂
Liebe Grüße
Ines
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Wundervoll 🌷🌷💐💐🌷🌷
Immer wieder schön in Texten von Fibonacci und seiner Folge zu lesen. Am besten in Verbindung mit dem Goldenen Schnitt in der Natur 🍃🦎🍀🦎🍃
HG vom Lu
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Ja, finde ich auch. Danke, Lu.
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🎶🎵🎶🎵🎶🎵🎶 🐦
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schön!
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🙂
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Liebe Gerda, ich krame jetzt mal aus den staubigen Ecken meines Gehirns…: die Fibonacciozahlen beziehen sich auf die relative Stellung (und relative Grösse?) der Blätter etc zueinander, , d.h. es bezieht sich ebenso auf die Spirale des Tannenzapfens, des Schneckenhauses, der Galaxie etc ist also ein Grössenverhältnis, bzw Entwickelungsverhältnis.
Die Anzahl der Blütenblätter bezieht sich auf die Art des Gewächses. Da gab es in der Evolution nach Mosen, Farnen etc und dem berühmten Gingko eine Aufteilung in Lilien- und Rosengewächse (ganz primitiv gesagt), d.h. Liliengewächse haben parallele Blattadern und Blüten mit 3 oder 6 Blättern, und Rosengewächse, die vernetzte Blattadern haben und meistens 5 und mehr Blütenblätter haben. Da gibt es natürlich viel mehr zu sagen, und viele Variationen. Nur mal so als Gedankenanstoss…
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Herzlichen Dank, Johanna, für den Nachhilfeuntrricht. Die beiden Linien Lilien und Rosengewächse haben sich also aus derselben Urpflanze herausentwickelt, wobei der Gingo mit seiner Doppelgestalt eine Schaltstelle war?
Interessanterweise haben die beiden Blumen, die wir heute „gerupft“ haben, zwar auch eine langsame Größenentwicklung der Blütenblätter (welche, könnte ich nicht sagen), aber sie haben eben auch die Blätterzahl entsprechend der Fibonacci-Reihe. Und das finde ich denn doch verblüffend.
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Ja die Anordnung der Blüttenblätter des Löwenzahns und auch der gelben Kleinstblüten vom Gänseblümchen würden demnach in Fibonacciospiralen sein…..
.. der Gingkobaum scheint beide Prinzipien zu enthalten…ist ja evolutionsmässig sehr alt und war schon zur Zeit der Dinosaurier hier…
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Ich nehme an, dass im Gänseblümchen der gelbe Mittelteil aus winzigen Blüten besteht. Was aber sind dann aber die weißen Umgebungsblütter, die wir gemeinhin für Blütenblätter halten?
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Das sind Scheinblütenblätter, so wie bei vielen Korbblütlern… wahrscheinlich um die Insekten anzulocken? Oder damit sie so hübsch wie kleine Sönnchen aussehen? 🤔
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Hallo Gerda, Fibonacci hat etwas mit Rekursion und Unendlichkeit zu tun.
Hier mal ein kurzer Auszug aus dem Buch von Douglas R. Hofstadter „Gödel, Escher, Bach“ zu dem Thema:
https://wkastens.files.wordpress.com/2021/02/fibonacci-zahlen.jpg?resize=160%2C160
Vielleicht ist etwas Sechsblättriges nur ein Kopierfehler, so wie das vierblättrige Kleeblatt?
Gruß Werner
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Vielleicht geht es hiermit und drauf-klick-macht-gross besser:
https://wkastens.wordpress.de/fibonacci/
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Herzlichen Dank für deine Mühe, Werner, aber mein mathematisches Denken,das früher ganz gut entwickelt war, ist mittlerweise eingeschrumpft, und ich kann mich nicht mehr gut in solche Graphiken versenken, um sie wirklich zu verstehen. Wörter wie Rekursion und Unendlichkeit, dazu auch die Form, die in sich selbst zurückläuft, regen mich zwar an, aber zum Verstehen reicht es leider nicht. Da brauche ich schon einen Erklärer.
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Danke, Werner! Den Ausdruck kannte ich nicht, das Phänomen „Bild im Bild“ aber habe ich schon manchmal verwendet, zB https://gerdakazakou.com/2020/01/18/3-x-obst-bild-im-bild-taegliche-zeichnung/. Hier ist das Motiv nur verdoppelt, aber im Prinzip lässt sich ja auch eine unendliche Rekursion vorstellen. Danke für deine anregenden Hnweise!
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Das sechsblättrige ein Kopierfehler? Nein. es ist eine andere Entwicklungsreihe. Wie Johanna schreibt, trennten sich im Laufe der Entwicklung die fünfzähligen Rosen von den sechszähligen Lilien. Beide sind gleichwertig, nur eben anders.
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Liebe Gerda, es geht ja bei der Rekursion nicht nur rein um Mathematik. Die Rekursion ist Dir dich sicherlich auch aus der Malerei unter dem Begriff „Mise en abyme“ bekannt.
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Ich habs ja nicht so mit Mathe, wobei ich die Ausführungen ganz interessant fand. Da müßte ich mich wohl mal mehr vertiefen. Ganz besonders schön finde ich aber die gelegten Blütenblätter!
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Danke, Almuth. Diese feinen Blütenblätter haben es mir auch angetan, ich wusste gar nicht, wie sie aussehen, bevor ich mich (wiederstrebend) entschloss, sie zu zerrupfen. Da ließe sich noch einiges mit veranstalten.
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Ja, das habe ich gerade gesehen 🙂
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Fibonacci hat sich wahrlich nicht träumen lassen, was er mit seiner Reihe angerichtet hat. Man findet sie in vielen Kontexten. Allerdings hält sich die Natur nicht immer an mathematischen Regelmäßigkeiten.
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