Das Zusammenleben mit Will.i läuft nicht mehr so rund wie am Anfang. Er ist jetzt irgendwas zwischen 11 und 13 und ich fürchte, schon in der Vorpubertät. Jedenfalls machte er heute Randale. Dabei hatte der Tag sehr schön und harmonisch begonnen.
Am Vormittag waren wir in Kalamata einkaufen, und ich machte wie schon zuvor eine Pause beim Eisenbahnmuseum, um ein bisschen zu zeichnen. Ich gebe zu, für Will.i, der Wiederholungen hasst, ist das eine Geduldsprobe. Aber was soll ich machen? Es herrscht Shut-down, und eigentlich dürfte ich nicht mal in den Park, sondern müsste gleich nach dem Einkauf ins Auto steigen und heimfahren. Und im Park kann er jedenfalls sie Loks und Waggons untersuchen. Doch sein vorher so lebhaftes Interesse war diesmal schnell erlahmt.
Ich begnügte mich daher mit einer klitzekleinen Zeichnung eines Güterzuges (handtellergroß).
Zum Mittagessen hatten wir Moussakas. Das hatten wir bei unserer Lieblingstaverne bestellt, aber als wir es abholen wollten, war es noch nicht fertig. Also gingen wir am Meer spazieren – und ich machte eine zweite handtellergroße Zeichnung, während mein Mann Zeitung las und Will.i Steine ins Meer warf. Dass er sie sehr heftig warf, fiel mir auf, aber ich beachtete es nicht.
Später las ich am Computer, machte einen Bummel durch den Olivenhain und ging hinunter ins Atelier. Da fing Will.i an, verrückt zu spielen. Er tanzte im Atelier herum, setzte sich allerlei Sachen auf den Kopf, fuchtelte herum und schrie: „Ich bin der große Zampano“*. Ich fand es ja lustig, aber auch ein wenig störend, denn ich wollte eigentlich zeichnen. Stattdessen legte ich ein Scherbenbild, das Will.i und mich als den großen und kleinen Zampano* darstellt. Ihr kennt das Bild ja schon.
Und dann gings rund. „Nur weil ihr alt und müde seid und Angst habt, muss ich hier rumsitzen und mich zu Tode langweilen! Warum reist ihr nicht? Warum fliegt ihr nicht mindestens mal zum Mond? Warum träumt ihr nicht groß? Warum lauft ihr mit diesen lächerlichen Masken rum? Ihr seid einfach nur jammervoll!“ – „Hej? Das sind ja ganz neue Töne! Alt bin ich, aber Angst habe ich nicht! Ich hindere dich nicht! Mach doch was du willst!“ – „Mach ich!“ und schwupps schnappte er sich eines meiner angefangenen ziemlich großen Bilder auf Pappe und begann, es wüst zu übermalen.
So sah es vorher aus:
Beim Malen sang Will.i:
„Das Meer ist wild,
Das Meer das quillt
gleich übers Bild
Es tobt, es wütet und es lacht
es wogt und wallt und sprüht und kracht
Das Meer ist wild, das Spiel ist aus!
ich hab es satt, ich will hier raus!
Woanders gibt es Spaß und Lust
und nicht wie hier nur Ruh und Frust!
Das kann ja heiter werden, dachte ich, während ich ziemlich fasziniert zuschaute, wie der groß-kleine Zampano mein Bild versaute. Schließlich war der blaue Himmel ganz verschwunden und der einstmals ins Helle führende Steg war von Trümmern und Schwärze umgeben.““Ha!“, schrie er. „So ist mein Leben! Das habt ihr aus meinem Leben gemacht! Eine Trümmerwüste!“
*Der große Zampanò ist eine der drei Hauptfiguren aus dem Film „La Strada“ (1954) von Frederico Fellini. Dargestellt von Antony Quinn. Schausteller und Großmaul. Er kauft Gelsomina (dargestellt von der großartigen Giulietta Masina), zieht mit ihr durch die Gegend, beutet sie aus, misshandelt sie. Sie tritt als Clown auf, lernt ein berühmt gewordenes Lied auf einer geschenkten Trompete spielen …Es kommt zu allerlei Verwicklungen. Am Ende ist der Große Zampano ein einsamer gebrochener Mann.
Ganz anders wird die Figur später von Freddy Beck (1975) in einem Schlager interpretiert: Da ist Zampano der große Strippenzieher und Bestimmer im Hintergrund.
Lebe dein Leben, so wie’s dir gefällt
Dafür bist du, auf dieser Welt
Lebe dein Leben, es zählt jeder Tag
Tu was dein Herz immer mag
Denn wohin der Wind uns weht
Und wohin die Reise geht
Weiß allein der große Zampano
Denn der bestimmt das sowieso
Und wohin der Strom uns treibt
Was von unserm Leben bleibt
Steht im dicken Buch schon irgendwo
Beim großen Zampano
etc
Hm, da bin ich jetzt ganz gespalten (wie Du wahrscheinlich auch) ich habe nämlich so einen Zampano auch in mir – vielleicht all die C-Geschädigten, denn es reicht uns diese Gängelei und die Einschränkungen…. und das 2. Gedicht oder Lied, da hör ich die Botschaft raus, vom ganz großen Zampano, der über unsere Leben wacht und wir seine Wege sowieso gehen werden, auch wenn wir immer wieder andere Strässlein laufen und ausweichen wollen. Egal wo der Strom uns hintreibt, wir werden letztlich dort ankommen, so wie es vorgesehen ist.
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Und wer ist dieser GANZ große Zampano für dich? Mensch oder Gott?
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na ich – sowohl als auch…. der kleine Z. ist der zögerliche zweifelnde, manchmal ängstliche, manchmal falsche Wege wählende´Z und der Gott in mir – und übrigens – ich glaub Du weißt es …. wir alle sind Teil Gottes, wie quer wir auch sind…. psst, aber nicht weitersagen 😉
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Very creative works! Thank you!
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Thank you, Fabio!
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🙂
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Das sind ja wilde und wüste Geschichten und Bilder. Aber irgendwie kann man Will-i auch verstehen. Deine Zeichnungen, die ersten beiden, finde ich besonders schön: Güterwagenwaggons und das alte Haus am Meer, aber auch das Glaslegebild mit dem großen und kleinen Zampano. Will-i ist wohl der große, mit Schnurrbart.
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Danke, Gisela. Ja, der große Kleine mit dem angeklebten Schnurrbart ist Will.i. Und die kleine Große mit dem langen Rock ist die Erzählerin.
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Was hält kleine Große aber in der Hand?
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Vermutlich sein grob bullernder Argument, liebe Gisela. So wie ja auch der kleine Große ein spitzig feingeschliffenes Argument hochhält.
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Argumente in der Form eines spitzen Dolchs?
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oder eines Seziermesserchens? Es gibt eben Totschlagargumente, fein analysierende Argumente, und noch viele Sorten mehr.
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So krass hatte ich Will-is Argumente gar nicht verstanden.
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Seine wüste Malerei hat ja sogar auch ein paar gute Seiten.
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Mehr Zampanos braucht’s: Leb dein Leben wie es dir gefällt, zieh hinaus in die weite Welt … !
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Fein, dass Zampanos für dich freie mutige Selbstverwirklicher sind!
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Das war wieder eine reichhaltige Lektüre und eine Augenweide. Die Waggons flößen mir allerdings zwiespältige Gefühle ein.
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Danke, Joachim. Es stimmt, auch ich habe mit Güterwaggons mein Problem, dabei sind diese hier wirklich unschuldig (so viel ich weiß).
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Ja die Teenager… ein wichtiges Alter der (versuchten) Befreiung von den Gedanken des ‚Elternhauses‘ und für die ‚Eltern‘ meistens ein ‚wake up call‘ alles bisher gedachte nochmal von einer anderen Seite zu betrachten. Viel Kraft dazu 😅😉
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Komisch, aber anscheinend gibt es ganz verschiedene Typen des großen Zampano ? Ich verbinde damit den Zampano aus dem unvergesslichen (!)Film La Strada von Fellini. Der ist aber kein “ mutiger Selbstverwirklicher“, sondern ein ziemlich fieser Macho, Angeber, Gewaltmensch. Berührend allerdings, dass er ganz am Schluss, nach dem Tod der Frau, die er nur ausgenutzt und drangsaliert hat, eine unerwartete Betroffenheit zeigt. Etwas, was ja oft hinter der Lebensfassade solcher skrupellosen Gewalttypen steckt. Ich dachte immer, dass so ein Zampano einer dieser fiesen Typen aus der Commedia dell´Arte sei ? irgend so ein Zanni ?? ..aber es scheint das verschiedene Typen unter dem Begriff Zampano zu geben ??
Liebe Grüße aus einem richtig verschneiten Berlin ! Elsbeth
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Guten Morgen, Elsbeth, aus der frühlingshaften Mani! Zu Zampano: Ich kannte ihn auch nur aus la Strada (ich schreibe dazu ja eine Anmerkung), vor allem aus dem Lied der drangsalierten Massina mit den traurigen aufgerissenen Augen ist mir das Wort in Erinnerung geblieben: „Jetzt kommt der große Zampano“. Doch hat das Wort im Lauf der Jahre eine Umdeutung erfahren. Auch das erwähne ich in der Anmerkung. Es bleibt ein schillernder, zwielichtiger Begriff – und genau das kommt meinem Vorhaben entgegen. Goßmaul, Macho, Macher, Selbstverwirklicher, vielleicht sogar der Strippenzieher im Hintergrund, all das ist in nuce im Großen Zampano enthalten. Was sich davon im Laufe des Jahres realisiert und in Erscheinung tritt, bleibt abzuwarten.
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Sorry, danke !habe wohl nicht genau genug gelesen….
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Ich freute mich, meine Gedanken über Zampano noch etwas auszubreiten. Also alles bestens! Liebe Grüße!
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Deine zwei handtellergroßen Zeichnungen sind grandios, liebe Gerda. So winzig kannst Du so akribisch genau zeichnen. Irre.
Daß der Will.i Randale macht, tut mir leid.Es wird aber vergehen und er wird wieder ansprechbar sein 🙂 Erinnere Dich *lächel*
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Danke, Bruni. Wegen Will.i mache ich mir keine besonderen Sorgen. Pubertät halt.
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genau 🙂
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