„Die Glocke Glocke tönt nicht mehr“ (Kleine Beobachtungen 1)

Eine neue Kategorie möchte ich hiermit einführen: „Kleine Beobachtungen“ vornehmlich über Natur im menschlichen Umfeld. Also in meinem Umfeld.

Diese Ziegenglocke, deren Schatten du links siehst, hängte ich vor Jahren an einen Olivenbaum. Sie rostete dort still vor sich hin. Manchmal ließ ich im Vorbeigehen ihren Klöppel schwingen.

Eines Tages bemerkte ich, dass der Klöppel unbeweglich war, und schaute nach. Gestern fotografierte ich, was ich dabei entdeckte:


Die Erbauer und Bewohner dieses vielräumigen Hauses waren längst ausgezogen. Wie sie es überhaupt in diesem im Sommer sehr heißen Eisengehäuse aushielten, ist mir ein Rätsel.

Und zur Abrundung das kleine Goethe-Gedicht des Titels:




Die wandelnde Glocke



Es war ein Kind, das wollte nie

Zur Kirche sich bequemen,

Und sonntags fand es stets ein Wie,

Den Weg ins Feld zu nehmen.

          

Die Mutter sprach: »Die Glocke tönt,

Und so ist dir’s befohlen,

Und hast du dich nicht hingewöhnt,

Sie kommt und wird dich holen.«

          

Das Kind, es denkt: Die Glocke hängt

Da droben auf dem Stuhle.

Schon hat’s den Weg ins Feld gelenkt,

Als lief‘ es aus der Schule.




Die Mutter hat gefackelt.

Doch welch ein Schrecken hinterher!

Die Glocke kommt gewackelt.

        

Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;

Das arme Kind im Schrecken,

Es lauft, es kommt als wie im Traum:

Die Glocke wird es decken.




Doch nimmt es richtig seinen Husch,

Und mit gewandter Schnelle

Eilt es durch Anger, Feld und Busch

Zur Kirche, zur Kapelle.

        

Und jeden Sonn- und Feiertag

Gedenkt es an den Schaden,

Läßt durch den ersten Glockenschlag,

Nicht in Person sich laden.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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21 Antworten zu „Die Glocke Glocke tönt nicht mehr“ (Kleine Beobachtungen 1)

  1. hanneweb schreibt:

    Das ist ja eine tolle Überraschung und wahrscheinlich wurde es dem Bewohnern der Glocke dann dochzu heiß.
    Sehr schön auch als Abschluss hier das Gedicht von der wandelnden Glocke. 😊
    Liebe Grüße von Hanne

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Das Gedicht ist mir auch bekannt. Doch es geht ja um Deine Entdeckungen in Eurer Ziegenglocke. Sind das vielleicht verlassene Hornissennester? Jedenfalls Kunstwerke!

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  3. Arno von Rosen schreibt:

    Das ist Kunst, so oder so und du hast sie entdeckt liebe Gerda 🙂

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  4. Susanne Berkenkopf schreibt:

    Das Goethe etwas zum Kirchgang dichtete ist mir wahrlich neu … ich dachte, er hätte sich lieber in der Naturkapelle vergnüglich besonnen. Oder ich hab’s nicht richtig verstanden 😉

    Gefällt 3 Personen

  5. Ulli schreibt:

    Das eine sind die Erbauer einer Häuslichkeit in deiner Ziegenglocke, das andere das Gedicht, das ich nicht kannte (was kenne ich schon 😉 ), aber es hat mich erinnert: als ich 11 Jahre alt wurde zog ich mit der Mutter landwärts. Die Kirche dort war sehr modern und lud mich nicht ein. Natürlich bestand die Mutter darauf, dass ich weiterhin sonntags sie besuchte, während sie Zuhause das Sonntagsessen bereitete, ich aber ging in die Felder, entdeckte dort, was ich zuvor in der Stadt nie fand und fand einen Segen und mein eigenes Gebet, auch wenn ich dies mit 11 nicht so formulieren konnte. Die Mutter hat es nie gemerkt 😉 und ich hatte kein schlechtes Gewissen, Gott hatte schon in der alten Kirche verloren …

    Gefällt 2 Personen

  6. Ule Rolff schreibt:

    Eine „kleine“ Beobachtung würde ich das nicht nennen liebe Gerda. So etwas Schönes ist doch zu beglückend.
    Und dir ist nie erhöhter Flugverkehr um die Glocke aufgefallen? Kaum zu glauben bei deinem wachen Blick!

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  7. gkazakou schreibt:

    Ich vermute, Ule, dass sie gebaut haben, als wir nicht hier waren. Und als es heiß wurde (und wir kamen), sind sie ausgezogen.

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  8. mmandarin schreibt:

    Ich weiß nicht, was mich mehr berührt, dieses zarte Gewebe in der Glocke, oder das Gedicht. ( das ich nicht kannte). Auch ich lief als kleines Mädchen „ins Feld hinaus“ und ignorierte sowohl den Klang der Glocke, als auch die Worte der Mutter. Dieser Morgen hat sich mir tief eingegraben ins Gedächtnis. Ich hatte im Wald (oben auf einem Berg) ein unglaubliches Tiefenerlebnis. Danke Gerda, das ich durch deine Geschichte daran erinnert wurde. Und das verlassene Nest….. nie und nimmer wird es mir gelingen, es nachzubauen, aber versuchen möchte ich es. Liebe Grüße Marie

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    • gkazakou schreibt:

      Welch schöne Resonnanz, liebe Marie! Du wurdest zu einer Kindheitserinnerung zurückgeführt, die dich prägte… Das Nest nachbauen? Ja, versuch es! Liebe Grüße!

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  9. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Na sowas, verrmutlich ein Wespennest, liebe Gerda.
    Welch kreative Tierchen sind sie doch… In Rolladenkästen bauen sie auch gerne, aber direkt am Küchenfenster mochte ich sie wirklich nicht und es mußte dort weg, denn verlassen war es ganz und gar nicht…
    Ich mag Deine alte Ziegenglocke, sie passt so schön zu den Olivenbäumen, suggeriert mir eine kleine Ziegenherde, die sich hier futternd vergnügt 🙂

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