XXI Die Welt (Die Vollkommenheit): Raffaels Todestag und Collagen mit der Sixtinischen Madonna

Die letzte Karte der großen Arkana ist erreicht: XXI Die Welt (Das Universum, die Vollkommenheit). Sie ist nicht nur die letzte Karte, sondern signalisiert die Vollendung des Wegs: die Widersprüche des Lebens, das ewige Hin und Her und Auf und Ab kommen zur Ruhe,  alles fällt an seinen Platz. „Die Welt“  – das ist Harmonie, ist Ganzheit, wo Zerstückung und Missklang herrschten, ist das Ende von Niedergeschlagenheit und Angst und der Beginn eines Lebens, das mit sich selbst und mit dem gesamten Kosmos im Einklang ist.

Wie aber lässt sie sich darstellen? Die Karte zeigt meist eine nackte tänzerische Gestalt, die, von einem violettfarbenen Schleier umwunden, zwei Stäbe in der Hand hält und von einem Lorberkranz sowie  vier Tieren umgegeben ist, die die vier Elemente oder auch die vier Evangelisten symbolisieren. Ein eklektisches Bild ohne Kraft.

Was aber kann ich dagegensetzen?

Vollkommenes zu schaffen ist mir nicht gegeben. Aber da war einer, dem wars gegeben: Heute vor genau 500 Jahren, am 6. April 1520, erst 37jährig, starb er. Es war ein Karfreitag. Dieser Heitere, Vollkommene, das strahlende Genie Raffaello Sanzio da Urbino, genannt Raffael, wurde von einem Fieber hingerafft. Ja. Und die gesamte gebildete Welt trauerte.

Raffael, Selbstporträt, Detail, um 1506, Öl-Holz, 47,5 x 33 cm (Uffizien, Florenz)

Raffael, Selbstporträt, Detail, um 1506, Öl-Holz, 47,5 x 33 cm (Uffizien, Florenz)

Und so möge „Die Welt“ heute von der Sixtinischen Madonna symbolisiert sein. Ein schöneres Symbol als diese leicht dahinschreitende sonnenhafte Mutter mit dem Kind, dessen Augen dich direkt anschauen, ließe sich für den Einklang von Selbst und Kosmos nicht finden.

Hier treffen sich der Anfang des Wegs (O Der Narr) und seine Vollendung (XXI Die Welt). Die Silhouette ist der Mensch, bin ich, bist du.

Leichtfüßig und ohne Anzeichen von Angst überquert die junge Mutter mit dem Kind im Arm die Straße. Mag die Welt auch bedrohlich scheinen, mögen Ritter, Tod und Teufel durch die leeren Straßen reiten – Mutter und Kind kann nichts geschehen. Und genau das fühle ich auch bei ihrem Anblick: Auch ich bin sicher aufgehoben in der Harmonie des Kosmos.

Die Hintergründe zu den folgenden vier Collagen habe ich einem eigenen Gemälde entnommen (Bildausschnitte. Pigmente, Kleister und eingeklebte Papiere auf Pappe). Das Bild „Meinem Großvater gewidmet, der ein Fischer war“ erinnert an die Verheerungen des Krieges. Raffaels Madonna schreitet unangefochten hindurch. 

Die starke Wirkung dieser Madonna erweist sich auch, wenn sie winzig ins Bild gesetzt wird. („Orientalische Fassade“ mit „Madonna“ und „Melancolia“)

Hier schreitet sie der Eremitin entgegen. Ihre Farben gleichen denen der untergehenden Sonne. Durch diese Landschaft gehe ich täglich.

Viele andere Bilder habe ich mit der lieblichen Figurengruppe geschmückt, aber ich kann sie ja nicht alle zeigen. Nur noch eins von meiner Serie Athener Stadtbilder: Maria geht mit den Kindern des Armenviertels – links posieren die Touristen (Ende 19. Jh.)

Ich werde wohl noch eine Welt-Karte mit einem Legebild machen müssen, die zu den anderen passt. Aber heute musste es Raffaels Madonna mit dem Kind sein, die den Sinn dieser letzten Karte am vollkommensten auszudrücken vermag. 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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17 Antworten zu XXI Die Welt (Die Vollkommenheit): Raffaels Todestag und Collagen mit der Sixtinischen Madonna

  1. Xeniana schreibt:

    SEhr besonders und sehr schön. Werde noch oft zu diesem Bilderzyklus zurückkehren.

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  2. Ulli schreibt:

    Sehr, sehr schön, liebe Gerda! Vor ein paar Tagen hörte ich ein langes Radio-Feature über Raffael, die 21 ist gerade meine Monatskarte, du hast sie wunderbar beschrieben und auch toll in Szene gesetzt.
    Mehr vermag ich gerade nicht zu schreiben, ich bin sehr erschöpft von zwischenmenschlichem Gehassel, da kommt mir diese wunderschöne Madonna mit ihrem Kind gerade recht.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Ja, einen sehr harmonisierenden Einfluß hat die berühmte, schwebende, leichtfüßige Madonna von Raphael auf alles, wie es scheint. Deine Gemälde als Hintergründe sind sehr stark und ausdrucksvoll, auch für sich allein.

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  4. Die Karte, die Du Deinem Großvater gewidmet hast und die Karte mit der Sonne sind für mich die Karten der Hoffnung! Das sind ganz außergewöhnliche fantastische Karten geworden liebe Gerda! 👌👍

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  5. kowkla123 schreibt:

    danke für die Info, lass dich von der Sonne verwöhnen beim Spaziergang oder auf dem Balkon, Klaus

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  6. BT!NA schreibt:

    Ein wunderbares Gedenken an den großen Meister, chère Gerda!
    Die Karten und die Widmung, wunderschön! Herzliche Grüße bT!NA

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    • gkazakou schreibt:

      Herzlichen Dank, Bettina. Ich freu mich, dass du auch an diesen bedeutenden Tag gedacht hast. Ein halbes Jahrtausend – und seine Bilder sind so herzergreifend lebendig.

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  7. Johanna schreibt:

    Ganz wunderbar gesagt und ausgewählt 🧡

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  8. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Wundervoll, Raffaels Madonna. Sie birgt wirklich die vollkommene Harmonie in sich und die 1. Deiner vier Collagen finde ich am allerbesten. Ganz alleine geht sie hier durch ein Gebirge, menschenleer, doch sie fürchtet sich nicht. Ruht samt ihrem Kindchen in ihrer eigenen Mitte und nichts kann ihr etwas anhaben. Wunderschön, liebe Gerda

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  9. gkazakou schreibt:

    Liebe Bruni, danke! Ich bin auch ganz glücklich [ber dies Zusammentreffen mit Raffels Todestag, sonst hätte ich sicher nicht an die Madonna gedacht. Und dann fand sich fast von selbst auch der Hintergrund. Manchmal suche un probiere ich stundenlang und bin nicht zufrieden, manchmal geht es zauberhaft leicht. Du findest also die erste am schönsten? Mir auch,a ber auch die dritte gefällt mir sehr, weil ihr Mantel und die Papiere im Hintergrnd denselben Schwung haben, so als ob sie zusammengehörten..

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