Kopieren = Lernen (4). Albrecht Dürer, Der Heilige Hieronymus

„In den früheren Malerwerkstätten gehörte das Kopieren zum Handwerk, zu den Lehrjahren dazu und ich kenne fast keinen großen Maler, der nicht kopiert hat, weil er in die Bilder eindringen wollte, um für sein eigenes Schaffen etwas zu lernen. Selbst Hockney übte sich noch darin. In seinem grandiosen Buch Geheimes Wissen (verlorene Techniken der Alten Meister wieder entdeckt) schreibt er ausführlich darüber.“ So schreibt Karin in ihrem Kommentar zu meinem gestrigen „Löwen des Hl. Hieronymus“.

Ich befinde mich also in bester Gesellschaft, wenn ich heute nacht noch einen weiteren Abschnitt des Hieronymus kopiert habe. Diesmal habe ich mich an den Heiligen selbst herangetraut. Dabei fiel mir auf, wieviel energischer Dürers Strich hier war und dass er die ganze Figur mit einer kräftigen Kontur vom Rest abhob. Mir schien, dass er diesen Mann lebendig vor sich hatte, als er ihn zeichnete. Und nachdem ich weiß (dank Karin), dass Dürer den Löwen aus diversen Vorlagen, die er kopierte, konstruiert hat, verstehe ich auch den Grund. Es ist eben doch etwas anderes, aus der direkten Anschauung zu zeichnen.

Nun, ich hatte diesen alten Mann nicht vor mir, doch ist die Lebendigkeit, die Dürer ihm gegeben hat, auch in meiner Kopie nicht verloren gegangen. Ich fühlte, als ich sie zeichnete, die rauen schmerzenden Hände, die die Feder halten, das aus grobem Material zusammengesetzte Mönchsgewand, die konzentrierte Aufmerksamkeit, mit der er bedenkt, was er in seinem  Brief schreiben wird.

Sophronius Eusebius Hieronymus (*347 in Stridon, Dalmatia,  † 420 in Bethlehem, Syria Palaestina) war ein Gelehrter und wird als Kirchenvater verehrt. Seine asketische Zurückgezogenheit hinderte ihn nicht, für die Kirche grundlegende Übersetzungen zu verfassen (besonders wichtig die „Vulgata“ genannte lateinische Bibelübersetzung aus der griechischen „Septuaginta“) und einen ausgedehnten Briefwechsel zu unterhalten. Er stand daher symbolisch für eine der anzustrebenden Lebenshaltungen des Mittelalters: die Vita contemplativa.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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22 Antworten zu Kopieren = Lernen (4). Albrecht Dürer, Der Heilige Hieronymus

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Gerda, daß Du das „kopiert“, also selbst gezeichnet ( also nicht durch eine Maschine kopiert) hast, das ist wirklich kaum zu glauben, aber offenbar wahr. Ich bin sehr beeindruckt von Deiner Zeichnung nach dem Original von Albrecht Dürer. Wenn ich dazu Deine Worte lese, erkenne ich, daß Du hier nicht zuerst Dürer, sondern Hieronymus selbst lebendig zu erfassen versucht hast. So viel liebevolle Einfühlsam kein spricht aus Deiner Zeichnung und Deinen Worten, und so befindest Du Dich ja nun tatsächlich auf den Fußspuren der großen Meister und bist ebenfalls dort „in die Schule gegangen.“ Wirklich sehr schön und gut!

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    • gkazakou schreibt:

      Herzlichen Dank, Gisela! Ich musste lachen über dein Erstaunen! Selbstverständlich habe ich „selbst“ per Hand kopiert, wie sollte das denn mit einer Maschine gehen?

      In die Person des Hieronymus konnte ich mich hineinversetzen, insofern Dürer es tat: er zeigt mir, wie er sich Hieronymus vorstellt und ich versuche es zu begreifen. Der von Dürer als Modell benutzte alte Mann ist womöglich ein armer ungebildeter Mensch, in dem Dürer aber doch die edlen Züge des Gelehrten und sogar Heiligen entdeckte. Und die sah ich dann eben auch.
      Es gibt viele Bilder mit diesem Kirchenvater, denn er war ein beliebtes Sujet. Selbstverständich handelt es sich immer um Vorstellungen der Künstler, denn wie Hieronymus wirklich ausseh, weiß niemand.

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Ja, so wird es gewesen sein: Daß Dürer einen armen alten Mann als Vorbild um Zeichnen seines Hironymus hatte. In jedem einfachen Menschen auch das zu erkennen, was in ihm als – gottgegebene – Möglichkeiten angelegt ist, das macht uns eigentlich erst zu Menschen, zu Mitmenschen, und das hast Du hier bewiesen, Albrecht Dürer vor Dir.

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  2. hanneweb schreibt:

    Bin mehr als nur begeistert von deinen kopierten Bildern dieses berühmten Meisters, liebe Gerda und hab schon immer große Hochachtung vor deinem Talent!!!
    Besuchten ja im letzten Jahr unser Dürer – Museum in Nürnberg und ich mag seine Art zu malen sehr.
    Liebe Grüße von Hanne

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  3. Martina Ramsauer schreibt:

    Ich möchte mich den obigen Kommentare anschliessen und mich für diesen absolut einmaligen Post einfach bedanken. L.G. Martina

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  4. Ich bin sprachlos!
    Gerda das ist grandios wie Du meisterhaft zeichnest! 👌👌👌👌👌👍
    Liebe Grüße Babsi

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  5. Ulli schreibt:

    Wirklich unglaublich was du kannst, liebe Gerda! Eigentlich verstehe ich nicht wieso du nicht berühmt bist 😉
    Dein Einfühlungsvermögen kommt nun noch hinzu. Ich denke, dass beides zusammen, also dein Talent und dein Einfühlungsvermögen zu diesen Meisterinnekopien führen!
    Liebe Grüße
    Ulli

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    • TeggyTiggs schreibt:

      …ich schließe mich Deinem Kommi an, liebe Ulli, ich verstehe auch nicht, wieso Gerda nicht berühmt ist…liebe Grüße an Euch beide!

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    • gkazakou schreibt:

      Vielleicht sollte ich, um berühmt zu werden, mich dem Kopieren zuwenden 😉

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      • Ulli schreibt:

        🙂
        aber mal Spaß beiseite, ich kenne von dir unglaublich viele richtig gute Zeichnungen, Gemälde, Legebilder, auch Digitales … Kunst ist für mich zum Teilen da … wie Bourgois sagte: Kunst zum Nutzen der Welt – Schönheit teilen, und was es noch zu teilen gibt, das ist ja je nach Persönlichkeit anders. Ob man nun berühmt wird oder nicht, Menschen lassen sich berühren, gehen mit, es entsteht etwas zwischen der Künstlern und den Betrachtenden, so, wie ja auch hier im Blog, aber hier sollte deine Kunst nun auch nicht auf ewig verharren.

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      • www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

        Absolut wundervoll hast Du Dürers Hyronimus kopiert. Viel Geduld und Fleiß gehörte dazu und eine starke Begabung, liebe Gerda. Dein Blick ist klar, unbestechlich und akribisch genau. Vermutlich war Deine Gabe, sich in etwas so hineinversetzen zu können, als würdest Du das lebendige Wesen unter Deinen Fingern und Sinnen erfühlen, der Garant dafür, daß es es klappen konnte. Und wie gut ist es Dir gelungen!

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    • gkazakou schreibt:

      das Wortspiel berühmt – berührt gefällt mir gut! Im übrigen, keine Sorge. auf ewig wird meins nicht im Blog bleiben – irgendwann wird auch das gelöscht. Vorher aber will ich leben, wie ich kann und mag.
      Mir ist mein gegenwärtiger Zustand recht: ich tue, wozu ich Lust habe, kein Galerist und Kunstspekulant sitzt mir im Nacken. Das ist Luxus pur, liebe Ulli! Manchmal dachte ich, ich wollte berühmt sein, zB als Schriftstellerin oder als Malerin, aber dann stellte ich es mir praktisch vor und ich sagte: nein, danke. Saure Trauben? nein. Berühmt sein ist sehr unbequem. Sogar übermäßig bekannt sein, weil dein Gesicht im TV zu sehen war, ist kein angenehmer Zustand.
      Kurzum, mir fehlt grad nix. Und danke für deine liebevollen Worte!

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      • Ulli schreibt:

        Der Aspekt ist selbstredend da, ja. Und auch leider. Andererseits gibt es ja mehr und mehr KünstlerInnen, die sich gegen eine gewisse Öffentlichkeit abschotten: keine Interviews geben etc. – ich denke, dass man letztlich doch einiges mitbestimmen kann.
        Es ist dch auch schön, wenn du sagen kannst: mir fehlt grad nix – was für ein wunderbarer Zustand 🙂

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  6. Verwandlerin schreibt:

    Ich glaube auch, dass man durch Kopieren -übrigens auch bei Schreibstilen – sehr viel lernen kann.

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