abc-Etüde: Ora et labora (Ameisen-Kata-Strophen)

Eine abc-etüde ist zu schreiben über eine Verzweiflungstat. Etüden-Erfinder Ludwig Zeidler hat die Wörter erdacht, Etüden-Betreuerin Christiane hat einen Kurztext von höchstens 300 Wörtern erbeten. Ambivalent stand ich diesem Ansinnen gegenüber. Nun habe ich mich dennoch der Erdichtung einiger kata-strophischer Verse hingegeben.

Eine Ameise kommt selten allein

Meistens ist sie zumindest zu zwein.

Doch bald schon ist sie zu viert und zu sext

Und ängstlich frag ich: wieviel sinds demnext?

 

Ameisen finde ich ambivalent

Was jeder versteht, der Ameisen kennt.

 

Denn sicher, wenn sie in Marschkolonnen

Abholen was übrig und ausgeronnen

Wenn sie die Körnchen und Grannen schleppen

Über Stöckchen und Stein und auch über Treppen

Dann ruf ich: O he, was seid ihr doch tüchtig,

ihr seid nach Arbeit ja gradezu süchtig!

 

Ameisen finde ich ambivalent

Was jeder versteht, der Ameisen kennt.

 

Doch wenn ich sie dann auch im Bette noch finde

Und sie da krabbeln, das find ich, gelinde

Gesagt, schon ziemlich empörend

Und meinen Schlaf gehörig verstörend

Dem hinzugeben ich mich entschlossen

Da ich ihn gestern zu wenig genossen.

 

Ameisen finde ich ambivalent

Was jeder versteht, der Ameisen kennt.

 

Sie krabbeln sehr gern über Schüsseln und Teller

Ess ich auch schnell, sie krabbeln noch schneller

Finden den Fisch und die Gräten sehr lecker

Holen sich alles, da hilft kein Gemecker,

geh ich mal fort, sogleich sind sie dort

an jedwedem Ort, da geb ich mein Wort.

 

Ameisen finde ich ambivalent

Was jeder versteht, der Ameisen kennt.

 

Wenn sie gar in Titos Essen spazieren

Da werde ich sauer, da kann es passieren

Dass ich sie verfluche

Und Auswege suche

Vielleicht sie ertränken?

Vielleicht sie erhänken?

Vielleicht sie zertreten?

Da hilft nur noch beten

um Duldsamkeit und guten Rat.

Ich fürchte ne Verzweiflungstat.

Fotocollage mit gezeichneter und vervielfältigter Ameise, 2019-09-12

(Die Originalzeichnung der Ameise ist demnext in einem gesonderten Eintrag zu besichtigen)

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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39 Antworten zu abc-Etüde: Ora et labora (Ameisen-Kata-Strophen)

  1. Myriade schreibt:

    Herrlich, mit Refrain und allem Drum und Dran. Und so eine gute Idee zu den schwierigen Wörtern. Mein Kompliment !

    Gefällt 4 Personen

  2. Was für ein Beitrag – einfach absolut genial!!!!!
    (Ehrlich gesagt bin ich doppelt und dreifach begeistert, weil du mit diesem Beitrag zudem gezeigt hast, dass die vorgegebenen Wörter keineswegs nur bestimmte Themen hervor bringen können, müssen oder dergleichen)……
    Großartig!

    Gefällt 8 Personen

  3. Christiane schreibt:

    Ich schließe mich den anderen an und finde deine Etüde leicht, heiter und überaus gelungen und überzeugend. Ich würde mir derartige Gäste in Heim, Bett und Futternapf meines Fellträgers ebenfalls verbitten! 😁
    Danke dafür!
    Liebe Grüße
    Christiane 😁😺🌞👍

    Gefällt 7 Personen

    • gkazakou schreibt:

      klar, verbitte ich mir auch. Doch hören sie auf mich? Nein! Sie stellen sich taub. 😁

      Gefällt 3 Personen

    • gkazakou schreibt:

      In Athen, wo es nur einen Zugang vom Balkon gibt, haben wir eine Schwefelgrenze gezogen, über die sie nicht gern wandern. Hier in der Mani ist alles offen, da hilft nur, das Essbare wegzuräumen.Sogar im Brotbeutel finden wir Ameisen. Aber es gibt auch andere Übeltäter, die zB den sehr soliden Sack mit Titos Futter aufreißen, so dass das Futter rausrieselt. Vermutlich eine Katze, kann aber auch eine Ratte sein. . . Nun, Natur ist es, sind keine Einbrecher, die es ja auch gibt….
      Eine wirklich schlimme Erfahrung machte ein entfernter Verwandter von mir, der in Afrika lebte. Da haben Wanderameisen das Schwein im Stall lebendig aufgefressen. Er selbst rettete sich dadurch, dass er die Bettpfosten in Wasserschüsseln stellte. Die Wanderameisen können allerdings auch Flüsse überqueren. Es steigen so viel hinein und ersaufen, bis sich aus ihren Leibern eine Brücke für die Überlebenden gebildet hat. So erzählte man mir. Grusel.

      Gefällt 2 Personen

      • Christiane schreibt:

        Ich tippe eher auf Ratten als auf Katzen, ich glaube einfach, gehört zu haben, dass Katzen nicht so gern Hundefutter fressen (wohl aber umgekehrt).
        Bei deinen Wanderameisenerzählungen gruselt es mich allerdings auch.

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  4. look2him schreibt:

    Und ich dachte immer, daß nur singenden und dichtenden Kater Katerstrophen machen … siehe da, auch die Ameisen sind mit dabei.

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  5. finbarsgift schreibt:

    Zauberhaft und virtuos, liebe Gerda, deine Katastrofenpoeme sind immer große Klasse!!
    Herzliche Morgengrüße vom Lu

    Gefällt 3 Personen

  6. violaetcetera schreibt:

    Juchu, wieder neues von den Kata-Strophen!
    Wir haben hier relativ wenig mit Ameisen zu tun. Was passiert, wenn sie überhand nehmen, beschreibst du wunderbar humorvoll.

    Gefällt 2 Personen

  7. Gisela Benseler schreibt:

    Na so etwas! Das erinnert mich an Wilhelm Busch:
    Das Zahnweh, subjektiv genommen
    Ist ohne Zweifel unwillkommen….

    Gefällt 5 Personen

  8. wechselweib schreibt:

    Sehr amüsanter Text, du hast den Schalk im Nacken, Gerda!

    Gefällt 2 Personen

  9. felsenquell schreibt:

    Leicht, witzig, virtuos, präzise, ganz toll!

    Gefällt 3 Personen

  10. Ule Rolff schreibt:

    Ich bin entzückt! Launige Reimpoesie ist ja grundsätzlich nicht so meins, aber hier konnte ich weder aufhören zu lesen noch zu kichern. Hut ab vor der Poeten!

    Gefällt 3 Personen

  11. Ulli schreibt:

    🙂
    SO gesehen, ist auch mein Verhältnis zu ihnen ambivalent! Aber wenn ich im Wald an ihren dicken Haufen aus Nadeln vorbeikomme, dann werde ich ganz ehrfürchtig!
    schmunzelnde Grüsse
    Ulli

    Gefällt 1 Person

  12. Gisela Benseler schreibt:

    Zu Wilhelm Busch, bevor ich es vergesse, hier sein Gedicht für den Fall der Fälle, aber doch nur nebenbei und am Rande; denn den tiefen Ernst, der hier dem Amüsanten steckt, ist ja bei Dir nicht zu überhören und nicht zu übersehen….
    Daß Zahnweh, subjektiv genommen,
    😐Das (!) Zahnweh!! (Automatische Korrektur wollte es anders als ich!)
    Ist ohne Zweifel unwillkommen.
    Doch hat’s die gute Eigenschaft,
    Daß sich dabei die Lebenskraft,
    Die sich nach außen oft verschwendet
    Energisch nun nach innen wendet.
    Kaum spürt man das bekannte Bohren,
    Daß Rucken, Zucken und Rumoren,
    Und aus ist’s mit der Weltgeschichte
    ………Eine Zeile fehlt in meinem Gedächtnis, glaube ich, und ohne die eine Zeile mach der Rest dann auch nicht mehr so viel Spaß. Tut mir leid!😦

    Gefällt 1 Person

  13. Werner Kastens schreibt:

    Mir ist eher gleich von Wilhelm Busch der fünfte Streich ins Gedächtnis gekommen:
    http://www.wilhelm-busch-seiten.de/werke/maxundmoritz/streich5.html

    Liebe Gerda,
    ich bewundere Deine Kata-strofen immer wieder aufs Neue!

    Gefällt 2 Personen

  14. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Wunder voll, liebe Gerda, mit unentwegtem Schmunzeln hab ich gelesen und mich köstlich über Deine Zeilen amüsiert. Tja, wenn sie in Marschkolonnen kommen, dann sinne ich auch auf Abhilfe und hoffe immer sehr, daß sie nicht bis in die Wohnung hineinmarschieren…
    Bis auf einen Schwarm geflügelte Ameisen vor vielen Jahren, aber es bisher noch keine geschafft, juchhu
    Mein Verhältnis zu ihnen ist auch ambivalent und kann sich von Gelassenheit auch schnell in eine leichte Panik verwandeln 🙂
    Liebe Grüße in die Nacht zu Dir, liebe Superpoetin

    Gefällt 1 Person

  15. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 38.39.19 | Wortspende von Make a choice Alice | Irgendwas ist immer

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