Skizzieren von Menschen in ihrer Umwelt. Wie wirkt sich meine Befindlichkeit aus?

Heute setzte ich mich in ein Cafe, um auf meinen Mann zu warten und dabei eine Zeichnung für meine Serie „Menschen in ihrer Umwelt“ zu machen. Das Cafe war klein und nett, erstreckte sich über drei Stufen, ich suchte mir einen Platz im Hintergrund, von wo ich einen guten Überblick hatte, ohne bemerkt zu werden – und begann zu zeichnen. Skizzierte mit Bleistift die vielen Senkrechten und Waagrechten des Raums und der Stühle, die Rundungen der Tische und Sonnenschirme, zeichnete Menschen, die sich setzten oder aufstanden, sogar einen Hund skizzierte ich. Leider scheiterte ich. Nichts funktionierte, wie ich es wollte. Ich war entnervt und radierte aus, was ich begonnen hatte, setzte neu an, verzichtete schließlich aufs Zeichnen und besah mir lieber die Leute, die reifen Musmullla (gelbe Früchte) an dem Baum, den Schmetterling….

Zum Zeichnen brauche ich innere Konzentration, und die hatte ich nicht, denn zuvor war ich eine halbe Stunde auf der Suche nach einem Parkplatz durch Maroussi gekurvt. Schon vorher war mir aufgefallen, wie unterschiedlich ich, je nach meiner Befindlichkeit skizziere.

Hier Ausschnitte der letzten Skizzen. Wie unterschiedlich ist die Strichführung!

1) Sich bewegende, spielende fröhliche Menschen auf dem Sportfeld im Wald. Ich schaue entspannt aus der Ferne zu und genieße den Anblick, fühle mich durch mein schnelles Zeichnen als Teil der Bewegung und des Lebens.

Genervte müde, sich gegenseitig vermeidende, sich abschottende Menschen in der U-Bahn. Ich selbst teile den Raum mit den anderen, werde wie sie durchgerüttelt von derselben Bewegung und demselben Lärm, atme ihre Luft,  bin zwar energisch und ausgeschlafen, aber etwas angespannt, möchte nicht bemerkt werden.

Unschlüssig, ziellos hin- und hergehende, sitzende, auf ein bestimmtes Ereignis wartende Menschen (die Tür des Museums soll sich öffnen). Ich selbst schaue entspannt und gleichgültig von Ferne auf die Fremden. Nichts drängt mich. Nichts verbindet uns.

4. Fußmüde, miteinander sich austauschende, genießende Menschen. Sie haben das Tagespensum an Sightseeing geschafft und dürfen sich ausruhen. Ich selbst bin entspannt, genieße, beobachte genauer, bleibe unbezogen.  Sie und ich leben in verschiedenen Welten – sie als Touristen, ich als Bewohnerin der Stadt teilen wir nur zufällig denselben Raum.

5. Heute war ich die Gestresste. Wie sollte ich da Genießende zeichnen? Dennoch: als furiose Bleistiftskizze kann sie sich durchaus sehen lassen, finde ich.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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17 Antworten zu Skizzieren von Menschen in ihrer Umwelt. Wie wirkt sich meine Befindlichkeit aus?

  1. Ule Rolff schreibt:

    Interessant, dein Vergleich der unterschiedlichen Zeichnungen und der zugehörigen Stimmungen.
    Dass der Strich eines Zeichners/einer Zeichnerin von der akuten Gemütslage beeinflusst wird, ist unmittelbar einleuchtend, dennoch habe ich ihn bisher eher der allgemeinen und dauerhaften Charakteristik der Person zugeordnet.
    Deine Überlegungen schenken mir einen vertieften Blick auf Kunstwerke im Kontext der Künstlerbiographie.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Danke Ule. Es kann natürlich sein, dass bei mir das Interaktive zwischen Selbst- und Fremdbefindlichkeit besonders volatil ist. Vielleicht kann man unterscheiden zwischen Künstlern, bei denen das auch so ist, und anderen, die, wie du sagst, einen allgemeinen und dauerhaften charakteristischen Strich ausgebildet haben, den sie bei allen Motiven und unter allen seelischen Bedrückungen anwenden und der lebensgeschichtlich nur in großen Perioden wechselt – was man dann als neuen Stil wahrnimmt. Manche haben wohl auch mehrere solcher „dauerhaften“ Stile ausgebildet, zB Picasso, der in seinen Zeichnungen von Klein-Klein-Gestrichel bis zu großzügigen Pinselzeichnungen alles perfekt beherrscht und nach Gusto anwendet.

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      • Ule Rolff schreibt:

        Vielleicht habe ich auch einfach bisher nicht so darauf geachtet.
        Und die Information über die aktuelle Stimmungslage hat Picasso auch nicht ganz so großzügig geteilt wie du.
        Er hat ja ganz hinreißende Zeichnungen gemacht, die tatsächlich in einem Zug, mit nur einem Strich gezeichnet sind und die Essenz des Motivs grandios erfassen.

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      • gkazakou schreibt:

        Ja, Picasso war ein grandioser Zeichner. ich liebe seine Zeichnungen und Gravouren über alles. Da gibt es tatsächlich so ziemlich allles, was zeichnerisch möglich ist. Mit den Farben hatte er es ja nicht so, sie waren ihm eigentlich egal. Irgendwann sagte er wohl mal: wenn ich grad kein Grün habe, nehme ich eben Blau.

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      • Ule Rolff schreibt:

        Er hat als Zeichner auch meine allertiefste Bewunderung.

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  2. Beke schreibt:

    Mal fließend, mal konkret, mal fragmentiert….ein sehr interessanter Gedanke, über das Stimmungsbild der Zeichnerin und ihre Beziehung zu Mensch und Bild zu reflektieren. Ich mag übrigens auch das „gestresste“ Bild.

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    • gerda kazakou schreibt:

      danke, Beke! das ist das Schöne am Bloggen: was man sonst nur in seinem stilllen Kämmerlein bemerkt und bedenkt, kann man hier in die offene Diskussion stellen und durch die Reaktionen von Lesern erfahren, ob was dran ist. Und den Gedanken erweitern und fließen lassen – wie eben gerade jetzt durch dich, durch Ule, durch Ulli und Gerhard – das ist schön. Ja, auch ich mag die „gestresste“ Zeichnung, die ich eigentlich ausradieren wollte. Dann sah ich sie noch mal an und sagte mir: Hoppla! Die hat Qualitäten, die die entspannten Zeichnungen nicht haben. Es ist diese energische, in den Linien sichtbar werdende Suche nach Anhaltspunkten, um Beziehungen zwischen Raum, Dingen und Menschen zu markieren, die mir gefällt.

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  3. kopfundgestalt schreibt:

    Finde ich auch!

    Ich musste schon oft feststellen, dass der Grad an Müdigkeit noch nichts über die qualitat der Zeichnungen vorhersagen konnte. Abgespannt sein ist aber meist ungünstig bei kreativen dingen. Meine frau spannt daher bei ihren kursen eine minmeditation ein, das bringt die Leute auf den boden und lässt fokusieren zu.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Hallo, Gerhard! Bezieht sich dein „das finde ich auch“, dass das gestresste Bild was hat? Wie ich eben bei Beke kommentierte, habe ich das erst beim zweiten Hinschauen gesehen. So gut die Meditation und das Fokussieren sein können: manchmal werden dadurch Spannungen neutralisiert, die eben doch sehr kreativ sein können, wenn sie sich ungehindert austoben können. Wenn ich deine Zeichnungen ansehe, so fühle ich, dass du eine große Vorsicht walten lässt und überschüssige Energien ausbremst, um ein ansprechendes stimmiges Ergebnis zu erzielen (was dir auch oft gelingt),

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      • kopfundgestalt schreibt:

        Ja zur ersten frage!
        Ich zeichne sehr lontrolliert, ekstatischeres verhalten dabei ist mir zwar bekannt, aber kaum praktiziert.
        Von einer mitzeichnerin habe ich zwei formate, die sie entsorgen wollte. Was für sie nicht stimmig war, wirkte für mich stimmig…ich sollte sie mal bringen…die manchmal willkürlichen striche haben oft was…perfektes wirkt oft langweilig

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  4. wildgans schreibt:

    Da irgendwo sitzen und rundumguckend auf den Mann warten, dabei noch produktiv sein, Glückwunsch dazu!

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  5. kowkla123 schreibt:

    beste Grüße von mir zu dir, Klaus

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  6. Ulli schreibt:

    Liebe Gerda, du hast so viel in den letzten Tagen hier veröffentlicht, dass ich gar nicht nachkomme, also bleibe ich jetzt erst einmal hier, bei deinen neueren Zeichnungen und den dazugehörigen Überlegungen, die ich nicht nur gut nachvollziehen kann, weil ich es teilweise von mir selbst kenne, sondern auch durch deine Beispiele, die so gut gewählt sind. Mal empfindest du dich als Teil des Ganzen, bist entspannt, mal nervös, unruhig, eher beobachtend – nun werde ich deine Zeichnungen noch einmal mit anderen Augen betrachten!
    Hier und heute mag ich besonders die Zeichnung im Park, vielleicht einer der entspanntesten Momente!?
    Liebe Grüße
    Ulli

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    • gerda kazakou schreibt:

      danke, Ulli, für deine schöne Resonnnanz. Ja, ich habe viel veröffentlicht, tue ich ja eigentlich immer, und sicher ist es nicht leicht, all dem zu folgen. Ich freu mich aber, wenn es jedenfalls punktuell einen weiterführenden Austausch gibt.

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