Merkwürdigkeiten von unterwegs (1-3): Verstehen durch „framing“ (Rahmung, Kontextualisierung)

Fotos kann man, wenn es Kunstwerke sind, durchaus ohne den Zusammenhang, in dem sie entstanden, zeigen. Die Miksang-Fotos, von denen hier kürzlich die Rede war, gehören sicher dazu. Die meisten Fotos aber schreien förmlich nach Kontextualisierung. Sonst sind sie uninteressant oder unverständlich, im besseren Fall rätselhaft, so dass sie jedenfalls die Fantasie in Gang setzen.

Ich habe mir nun erlaubt, ein paar der Fotos, die ich gestern unterwegs aufnahm, ohne Kontext zu posten. Heute aber liefere ich die Rahmen nach, in die ich sie stelle.

Die schwebende Kabelrolle: Rahmung durch Arbeitsprozesse

 

Ja, sie schwebt. Nein, es ist nicht ihr inneres Gefühl, das sie schweben macht, und auch Magie ist nicht wirklich im Spiel. Der größere Rahmen zeigt, wie recht die haben, die einen Kran am Werke wähnen. Warum aber ist der Kran am Werke? Und was machen die beiden Männer oben dort in den Masten? Üben sie für einen Kletterwettbewerb an Steilwänden? Nein, sie arbeiten am Stromnetz. Drum hatten wir gestern von 9-16 Uhr Stromsperre. Und um Punkt vier war der Strom wieder da, neu verkabelt.

Die kleine weiße Wolke. Poetische Rahmung

 

„Sie war so weiß und ungeheuer oben“.  Ich sah das Wölkchen gestern, als ich  in die Innenstadt von Athen fuhr und bei der Station „Attiki“ zum Fenster des Elektriko (U-Bahn) hinausschaute. Sogleich war die größere Rahmung da: Poesie!  Bertold Brecht: Erinnerung an die Marie A.

„Täuschend echt!“ Historische Rahmung

 

Hier handelt es sich um Kopien von antiken Skulpturen. Um sie professionell herzustellen, ist eine ganze Wissenschaft nötig. Im Archäologischen Nationalmuseum gibt es eine frei zugängliche Abteilung, in der man zB über die Farben informiert wird, die in der Antike verwendet wurden, und wie man sie heute beschafft. Auf dem dritten Foto siehst du u.a. eine Verpackung: Kroko, der goldgelbe Farbstoff, wurde postalisch aus Thrazien angeliefert, wo er bis heute auf großen Plantagen angebaut und in mühsamer Handarbeit gerntet wird. .

Geschichte des Krokus

Sorte Crocus vernus „Pickwick“ (Quelle: griechisches Wikipedia)

„Die Geschichte des Krokus beginnt im Osten. Es gibt Hinweise auf erste Verwendungen in Kleinasien und Ägypten, wo er von Kleopatra und andere Pharaonen als verführerisches Parfüm benutzt wurde. Auch in Heiligtümern wurde er eingsetzt.  Man findet ihn bereits im minoischen, aber auch im klassischen Griechenland, wo er sowohl als Duftstoff als auch als Farbstoff verwendet wurde.  Man findet Darstellungen von Krokus auf Wandbildern minoischer Paläste. Charakteristisch das Wandbild mit den Krokussammlerinnen (Archäol Nationalmuseum Athen). Auch die pharmazeutischen Eigenschaften des Krokus waren den Griechen bekannt, sie benutzten ihn gegen Schlaflosigkeit und Kater nach Wein-Gelagen. Auch als Duftstoff in Bädern und als Afrodisiak wurde er eingesetzt. Die Araber erkannten seine anästhesierende Wirkung und führten ihn im 10. Jahrhundert in Spanien ein. Krokus war ein Grundelement, auf dem das Imperium von Venedig aufbaute.  Heute braucht man ihn weltweit für Gebäck und als Zutat zu bekannten Rezepten, zB für die spanische Paella“.

Der Krokus also wird heute auch als Farbstoff verwendet, um eine historisch korrekte Einfärbung der Keramiken zu ermöglichen, die dann mit Echtheitsvermerk in den Handel kommen.

Krokus ist natürlich wiederum nur ein Bruchstück im weit größeren Rahmen, in dem dieses Foto mit den beiden hohläugigen Keramik-Köpfen zu verstehen ist.

Wie Einzelbilder oder Ereignisse verstanden und bewertet werden, hängt weitgehend vom Framing ab. Welche Missverständnisse entstehen doch, wenn die Menschen unterschiedliche „Rahmungen“ vornehmen und sich nicht darüber verständigen!

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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19 Antworten zu Merkwürdigkeiten von unterwegs (1-3): Verstehen durch „framing“ (Rahmung, Kontextualisierung)

  1. lieberlebenblog schreibt:

    Hochinteressant (wieder mal 😀), was du uns da zeigst und beschreibst, liebe Gerda!
    Und das Brecht-Zitat dazu: wunderbar!!

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    • gerda kazakou schreibt:

      Ganz herzlichen Dank, liebe Silke, ich freu mich! Tatsächlich halte ich es für wichtig, ins Bewusstsein zu heben, dass (un wie) wir (bewusst oder unbewusst, manipuliert oder frei bestimmt, sehr persönlich oder typisierend) Eindrücke „rahmen“ und ihnen dadurch bestimmte Bedeutungen geben. Assoziationen wie die zwischen dem weißen Wölkchen und dem Brecht-Gedicht gehören auch dazu.

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  2. Myriade schreibt:

    Liebe Gerda, da sieht man wie unterschiedlich Menschen sind: ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn mir jemand erklärt, was ich auf einem Bild sehe , in welchem Rahmen es entstanden ist, außer ich frage nach. zB bei dem hübschen Foto mit dem Wölkchen ist es doch völlig irrelevant, wo das aufgenommen wurde, die schwebende Kabelrolle finde ich auch völlig selbsterklärend und das Foto mit den Keramikköpfen finde ich witzig, völlig unabhängig davon, woher oder wohin sie transportiert werden. Es gibt eben viele verschiedene Sichtweisen …..

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    • gerda kazakou schreibt:

      Das ist auch bei mir so, wenn ich ein Foto nicht als Informationsträger, sondern rein als ästhetisches Produkt betrachte. An ein Foto, das nur als Bild und sonst weiter nichts angesehen werden will, stelle ich allerdings höhere Anforderungen als die in meinen Fotos erfüllten. Das ist auch bei den meisten Fotos so, die ich in den Blogs sehe. Da tritt das ästhetische Kriterium hinter das Interesse an der Person und der dargestellten Situation zurück. Ich „like“, nicht weil ich das Foto sooo überragend finde, sondern weil es mich zu Gedanken anregt, mir etwas über den Fotografen sagt und mir zugleich bildliche Informationen über Orte, Pflanzen, Tiere oder Gegenstände etc gibt. Auch ein mittelmäßiges Foto gefällt mir, wenn es diese Kriterien erfüllt.

      Es ist ähnlich bei Texten. Ein Gedicht will ich normalerweise nicht gedeutet haben. Aber bei den meisten anderen Textsorten, insbesondere bei wissenschaftlichen, journalistischen, politischen, ist es ein MUSS zu erfahren, wann wer was in welchem Kontext warum gesagt hat.

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  3. finbarsgift schreibt:

    Auf jeden Fall: schöne Einfälle und also Motive, fein gewählte Perspektiefen (sie machen ja zum Großteil die Güte eines Fotos aus) und prächtige verbale Kommentierungen …
    Herzlichen Dank liebe Gerda!
    Liebe Abendgrüße vom Lu

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  4. Beke schreibt:

    Framing. Man kann damit spielen und die eigenen Sichtweisen der Welt in verschiedene Rahmen stellen, um ganz unterschiedliche Ergebnisse zu erzielen. Damit relativiert sich die Enge von Standpunkten und Meinungen. Wir stellen fest, dass „Objektivität“ nur die endlose Summe vieler Subjektivitäten sein kann. Alles ist so und auch um ein Vielfaches anders und das Gegenteil. Der Rahmen ist ein Ausschnitt.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Danke, Beke. du sagst, durch verschiedenes framing relativiere sich die Enge von Standpunkten und Meinungen. Ja, das stimmt unbedingt. Dort, wo der Begriff meist benutzt wird – in der Kommunikationswissenschaft – handelt es sich freilich vor allem um ein Instrument, um bestimmte Lesarten durchzusetzen – und nicht um ein Instrument der Aufklärung, dass es außer der einen auch noch andere legitime Lesarten geben könnte. Natürlich lässt sich das dann auch umdrehen – und das tue ich auch sehr oft, denn ich bin das, was man einen Querdenker nennt. Ich neige fast automatisch dazu, das framing herrschender Ansichten, das mir medial angeboten wird, zu hinterfragen.

      Und meinst, Objektivität könne nur die Summe vieler Subjektivitäten sein. da stimme ich dir nicht zu: es ist keine „Summe“, sondern ein „Produkt“. Subjekte haben nicht die gleiche Deutungshoheit, denn sie leben in hierarchisch gegliederten Systemen, und was jedes Subjekt denkt, ist durchaus nicht gleichrangig. Es gibt die großen Strukturen, die das Denken der vielen in eine bestimmte Richtung lenken. Wie diese großen Strukturen (Deutungsmuster), die Wirklichkeit „generieren“, entstehen, sich verfestigen, auch zerfallen – darüber sinne ich viel nach. Und ich beobachte die Kämpfe zwischen verschiedenen Deutungsmustern, die heutzutage offener denn je ausgefochten werden – dank des internets.

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  5. Beke schreibt:

    Als Nachtrag zu meinem obigen Beitrag ist es mir noch wichtig zu erwähnen, dass es selbstverständlich Fakten gibt, mit deren Rahmung man nicht spielen kann – wie z.B. die Klimakatastrophe.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Es ist vielleicht keine Frage die zum Spielen einlädt, doch auch da ist das Framing von außerordentlich großer Bedeutung. In der Debatte geht es meist darum, der jeweils anderen Seite ein absichtlich oder aus Uninformiertheit unzulässiges Framing zu unterstellen. Nicht über die Daten als solche wird meist gestritten, sondern viel mehr über den Interpretationsrahmen und die Deutungshoheit. Wofür – wird gefragt – ist dies Datum ein Beweis? Welchen Referenzrahmen ziehst du heran? Was extrapolierst du daraus? Und welche Daten ziehst du nicht heran – warum?

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  6. Ulli schreibt:

    Eindrücklich ist die schwebende Kabelrolle, die, nur so gesehen, sofort zu allerlei Vermutungen einlädt.
    Bei Bildern ist es ja so, dass sie entweder um der Schönheit willen aufgenommen/gestaltet wurden oder aber eben in einem gedanklichen oder gefühlsmäßigem Kontext stehen, der sich aber nicht immer unbedingt den Betrachtenden erschließt. Muss er das? Nicht immer und unbedingt.
    Wenn es aber um Manipulationen geht, verstehe ich wenig Spaß, soll heißen, dass ich glauben möchte, was mir gezeigt wird, was aber schon lange nicht mehr so ist, vor allen Dingen, wenn es um Berichterstattungen geht. Leider!
    liebe Grüße
    Ulli

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    • Ulli schreibt:

      P.S. Danke für den Link zum Brechtgedicht, das ich sehr gerne gelesen habe, Reich-Ranicki habe ich mir aber gespart …

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      • gerda kazakou schreibt:

        Das Gedicht gehört schon lange zu meinen Lieblingen und begleitet mich seither. Ich brauche dafür keine Interpretation, doch wollte ich eine zusätzliche Leseanregung anbieten, auf die ich eher zufällig stieß.

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      • www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

        Ach, keine Magie bei der Kabelrolle, liebe Gerda? Fast bin ich ein wenig enttäuscht 🙂
        Jetzt, wo ich den Kran sehen kann, der sie hebt und für einen Moment schweben läßt, ist alles sonnenklar, aber vorher war sie von Geheimnis umweht und mir war in diesem Moment ganz egal, wie es wirklich war. Es war der Geschicklichkeit des Fotogresfen zu verdanken, daß eine simple Kabeltrommel zu schweben schien und ich freute mich an genau diesem Ausschnitt.
        Brechts weiße Wolke, so ungeheuer oben, liebe ich schon sehr lange und immer mal wieder lese ich mir den Text durch und schmunzle über das siebente Kind, das er in seinen Zeilen ersinnt *g*
        In Wortbehagen suche ich die Fotos für die Stimmung aus, die ein Gedicht vermittelt und nicht immer ist es ein richtig gutes Bild, dennoch passt es für mich und zu meinen Gedanken, die ich beim Schreiben hatte.
        Ob die Worte vielleicht so etwas wie ein Rahmen für das Bild sind?

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  7. bluebrightly schreibt:

    Kontext kann so wichtig sein, aber das Entfernen kann dazu führen, dass Sie die Dinge anders sehen. Das Kabelfoto ist ganz anders, wenn Sie den LKW damit sehen. Aber die Wolke – für mich machte es keinen großen Unterschied, mehr vom Gebäude zu sehen. Mir gefällt, was das Lesen des Brecht-Zitats für die Cloud bedeutet. 🙂
    Und es ist cool, die Packung mit Safrankrokus im Museum zu sehen! Die alten Wege!
    Sie haben einen guten Punkt in Bezug auf Framing und Kommunikation gemacht – wo mich ein Mangel an Kontext oder der falsche Rahmen wirklich stört, sehe ich oft Nahaufnahmen ohne Kontext, so dass ein Verständnis nur möglich ist, wenn Sie die Geschichte bereits kennen .

    I hope google translate didn’t mess this comment up! 😉

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    • gerda kazakou schreibt:

      google has made formidable progress in translation! Thank you a lot for your comment.
      Für die Kabelrolle ist das erweiterte Foto mit Kran aufschlussreich, doch das eigentliche framing ist durch „Arbeitsprozesse“ gegben. Für die Wolke ist das framing meine Erinnerung an das Gedicht von Brecht. Für die Keramikköpfe ist das Framing die Geschichte der Farbe krokos. Selbstverständlich sind völlig andere Gesichtspunkte möglich.

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      • bluebrightly schreibt:

        Ich verstehe, verschiedene Arten, über die Gestaltung selbst nachzudenken – nicht nur den wörtlichen Rahmen der Komposition. Ich mag es. Danke für die Erklärung!.

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