Ich-Selbst im Fremdportrait

Frau Heming kommentierte meinen gestrigen Eintrag über das gemeinsame Zeichnen so: „Ich bin immer wieder beeindruckt davon, welche unterschiedlichen Schwerpunkte je nach Art und Stand der Bearbeitung herausgeschält werden. Wie ein Überraschungsei.“

Frau Heming meinte die Bearbeitungen, aber bei mir löste ihre Bemerkung einen ganz anderen Gedanken aus, und so antwortete ich völlig unpassender Weise: „Stimmt, wenn man alle Portraits einer Person X nebeneinander stellt, ist es höchst überraschend, wie unterschiedlich sie sind: jedes gibt eine Facette dieser Person X wieder, wie sie von anderen Personen wahrgenommen wurde. Das Ganze ist dann so etwas wie eine Annäherung an die „wahre“ X durch das Auge von A, B. C….. in verschiedenen Lebensmomenten.
Du bringst mich auf die Idee …. “

Die Idee ist, einmal alle Portraits einer Person X, die in unserer kleinen Gruppe gezeichnet wurden, zusammenzustellen, um auf diese Weise das Fremd-Portrait dieser Person herzustellen.

Ich nehme mich selbst als diese Person X:  Gerda – ein Gesamt-Portrait, in Facetten aufgebrochen nach Tagen, Umständen, Zeichnerinnen. Die Bilder habe ich absichtlich gemischt, also weder nach Datum noch nach Zeichnerin geordnet. Aber alle stammen aus der Zeichengruppe, die sich seit dem vergangenen Sommer bei mir trifft.

Dieses Gesamt-Fremd-Portrait  meiner Selbst ist gewisser Weise ein Gegenstück zu Susannes Selbstportrait-Tagebuch ….

Wenn du Lust hast, kannst du dieses Fremdportrait meiner Selbst konfrontieren mit einer Reihe von Selbstportraits, die ich im Laufe der Jahre gemacht habe.

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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37 Antworten zu Ich-Selbst im Fremdportrait

  1. kunstschaffende schreibt:

    Unglaublich, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen Deiner Person ausfallen und trotzdem ist in jedem Bild ein Teil Deiner Person zu erkennen! Echt klasse!👏👏👏👏👌👍😉🙋‍♀️

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    • gkazakou schreibt:

      Ja, es ist merkwürdig. Man hat ja ein ungefähres Bild von sich selbst, obgleich man sich nicht sehen kann, außer man starrt in einen Spiegel oder besieht sich auf Fotos. Und dann fragt man sich bei solchen Portraits: Soo sehen mich die anderen? Und so verschieden?

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  2. mynewperspective schreibt:

    Liebe Gerda,
    was für ein tolles Missverständnis.
    Meinen Favoriten habe ich benannt. Mir gefällt die Naivität des Portraits. Viele andere sind wesentlich ausgereifter in der Ausführung, jedoch mag ich die Einfachheit des speziellen Porträts. Auch gefällt mir, dass Du auf diesem lächelst, was bei den anderen (Selbst- und Fremdportraits) nicht so ist. Während die anderen überwiegend eine konzentriert zeichnende Gerda zeigen, wirkt dieses, als ob Du gerade eine kurze Pause mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln genießt.
    Herzliche Grüße
    Serap

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  3. afrikafrau schreibt:

    so ist es mir auch ergangen, das Lächeln sehe ich sehr gerne…..interessant……vielleicht lächeln wir zu wenig????

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  4. Ich habe noch nie zuvor eine Künstlerin auf eine Idee gebracht. Und jetzt profitiere ich sogar davon. Toll!

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  5. kopfundgestalt schreibt:

    Was dabei ist der Kern?
    Mir scheint, daß dein Mund sozusagen das Zentrum ist – etwa im 3t-letzten Foto.

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  6. gkazakou schreibt:

    Danke für die Rückmeldung, Serap. Lächende oder gar lachende Menschen zu zeichnen ist, wie ich an anderer Stelle schrieb, sehr schwierig, die Gesichter werden leicht zur Grimasse. Außerdem kann man unmöglich 20 Minuten lachen oder Lächeln, während man gezeichnet wird. Drum haben fast alle gemalten Gesichter einen ernsten Ausdruck.nicht umsonst ist das Lächeln der Mona Lisa so berühmt geworden. 😉

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  7. Myriade schreibt:

    Sehr interessante Idee. Ich denke mir, dass der Ausdruck und die spezielle Sichtweise aber auch sehr von den individuellen zeichnerischen Fähigkeiten abhängt. Nicht immer kommt heraus, was der/die Zeichnende darstellen wollte.

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  8. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Gerda,
    eine sehr interessante Ansammlung! Fühlst du dich erkannt? Oder ist doch wenig von dir selber in den Portraits?
    LG Susanne

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    • gerda kazakou schreibt:

      Gute Frage. Meine Antwort ist. ich weiß es nicht. Genau das ist ja das Spannende: Sehen die anderen etwas, was ich selbst nicht erkennen kann?
      Ich erkenne mich ja nicht wirklich im Spiegel. Mein (inneres) Selbstbild unterscheidet sich deutlich von meinem (äußeren) Erscheinungsbild. Du kennst das wahrscheinlich: man starrt sich im Spiegel an und sucht in dem Gesicht, das einem da zurückstarrt, nach dem, was man zu sein meint. Man fragt: wer bin ich? Bin ich das? Oder habe ich „eigentlich“ ein ganz anderes Gesicht? ich bin ja nicht mein Körper….
      Das Gesicht im Spiegel lässt wenig von dem durchscheinen, was ich bin. Es bleibt mir fremd – äußerlich, Erbe einer langen Ahnenreihe, zufälliger Prägungen, Alterungsprozesse der Zellen, dazu auch Beleuchtung und eher zufällige Befindlichkeiten. Das Individuelle, das geistig-seelische Selbst, das ich innerlich wahrnehme, prägt sich nur andeutungsweise im Äußeren aus, hinterlässt nur geringe Spuren in dem materiell vorhandenen, „ererbten“ Gesicht.
      Mein „eigentliches Gesicht“ wird vermutlich deutlicher im Sprechen, Handeln, Lachen, das die anderen, nicht aber ich selbst wahrnehme(n). Insofern ist die Rückmeldung der anderen so wichtig für die Selbstwahrnehmung.

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  9. Ulli schreibt:

    So viele Gerda-Facetten und bis auf sehr wenige Ausnahmen kann ich dich in allen gut erkennen. Was du über die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung der anderen schreibst, kan ich unterschreiben – dabei ist mir noch ein Apsekt eingefallen, die Darstellung von mir von anderen spiegelt auch ihre Haltung mir gegenüber – von liebevoll bis freundlich zugewandt bis genervt kann ich selbst auf Fotografien manche davon erkennen.
    herzliche Grüße
    Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Die Beziehung zwischen Zeichnerin und Portraitierter – das sagte ich oben – ist ein Aspekt, der sich im Ergebnis niederschlägt. Darüberhinaus spielt auch das Vertrauen eine Rolle: manche kämpfen tatsächlich um den für sie erreichbaren „wahren“ Ausdruck, andere wollen nur „angenehme“ Portraits zeichnen, weil sie entweder nicht verletzen wollen oder grundsätzlich wenig Bezug zur Wahrheit haben. Karikieren, also hässliche Züge übertreiben, will in dieser Gruppe niemand.

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      • Ulli schreibt:

        Sag mal, kann es sein, dass du wieder keine Benachrichtungen per mail bekommst – somal nebenbei?!
        Zu allem anderen nicke ich.
        liebe Sonntagabendgrüße an dich, Ulli

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    • gerda kazakou schreibt:

      danke. Und ja, es scheint so, dass ich wieder nicht benachrichtigt wurde. Ich schau mal nach,

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  10. sowas von unterschiedlich!!!Eine sehr bunte Mischung, obwohl schwarzweiss!

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  11. Peter Klopp schreibt:

    Da hast du eine wunderbar talentierte Gruppe um dich geschart, liebe Gerda. Eine fabelhafte Sammlung von Portraits, die einen guten Eindruck der Person X vermitteln! Ich wünsche noch einen schönen Sonntag.

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  12. wechselweib schreibt:

    Krasse Unterschiede und in der Tat sehr unterschiedliche Facetten von dir, die da zum Vorschein kommen!

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  13. Pingback: Münder (und Augen) als Ausdrucksträger von Portraits | GERDA KAZAKOU

  14. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Haben sich je in einem einzigen Portrait alle Facetten einer Person spiegeln können? Selbst bei der Mona Lisa wird es so nicht sein. Sie saß Modell und sollte diesen einen Eindruck verniteln, um den es dem Meister ging. Was meinst Du, liebe Gerda?
    Ich wurde einmal in einer künstlerischen Aktion der zusammengelegten Dörfer von einem Künstler, der in meinen Augen weniger Künstler war, als er selbst dachte, fotografiert. So machte er es mit allen Personen, die ausgesucht waren. Es waren ca. 40. Dann gab es eine Ausstellung seiner davon gezeichneten Portraits. Ich ging in aller Ruhe alle Zeichnungen durch, die sehr gut angeordnet waren und fand viele wundervoll gut getroffen. Ich erkannte die, die ich kannte. Und ich ging weiter und weiter und wunderte mich, denn ich fehlte dabei…
    So dachte ich aber nur *g*.
    Nach mehrmaligem Suchen durch die Gänge fand ich mich dann doch… und da war nichts von mir, kein Stückchen, kein winziges bissel, kein Ausdruck, nichts Lebendiges, nur ein Nichts von mir.
    Er hatte erwartet, daß alle Bilder gekauft würden. Ich war die einzige, die ihr eigenes Bild nicht wollte. ER hatte mein ICH nicht entdeckt auf seiner Fotografie und was er da zusammengeschustert hatte, das war etwas so unscheinbares, lebloses, daß ließ ich es leichten Herzens hängen ließ, wo es war. Ich hätte keinen Cent dafür bezahlt.

    Hier ist es jetzt sehr anders. Da ist leicht zu erkennen, wie sich jeder bemüht, Dich zu sehen, Dich auf sein Blatt zu bannen und bei jedem sehe ich Dich, einen Teil von Dir. Ich sehe die Konzentration in Deinem Gesicht, während Du selbst zeichnest und das Gelöste, wenn Du die Hände hast sinken lassen.
    Mein Lieblingsbild von Dir ist das zweite von allen, 1. Reihe, 2. Bild von links *lächel*

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    • gkazakou schreibt:

      Das ist ja hoch interessant: du konntest dich nicht erkennen! Nun stimmt das allerdings auch für diese Zeichnungen: wenn ich sie mit vielen anderen in einem Saal hängen sehen würde, würde ich womöglich mein eigenes Portrait nicht herausfinden. Der Grund wäre freilich ein anderer als bei dir.

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  15. bruni8wortbehagen schreibt:

    Was für ein Grund wäre es bei Dir?

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    • gkazakou schreibt:

      Ich glaube, ich sagte es schon: mein Selbstbild deckt sich nicht mit dem, was die anderen von mir wahrnehmen. Vielleicht ist es bei dir ähnlich? Du hast ja die Portraits der anderen durchaus erkannt, nur dein eigenes nicht. Andere sieht man von außen und kennt sie eben nur so, erkennt sie auch an diesem Äußeren. Sich selbst kann man von außen nicht sehen, man hat stattdessen ein inneres Bild. Wenn jemand dies innere Bild erfassen und malen könnte – Ja, dann würde ich mich wohl erkennen.
      Ähnlich geht es mir mit meiner Stimme. Ich bin sehr erstaunt, wenn ich sie auf Tonvand höre, sie klingt mir ganz fremd.

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