28.-29.Dezember, siebte Raunacht: Relativität von Hell und Dunkel

Ist eine Zypresse dunkel? Und ist der Stamm der Kiefer hell oder dunkel,  wenn er teils vor einem hellen, teils vor einem dunklen Hintergrund steht?

Wenn du, wie ich in letzter Zeit, Bäume skizzieren würdest, fändest du diese Fragen gar nicht so blöd. Beim Zeichnen mit nur einer Farbe – also im Falle des Bleistifts mit Abschattungen des Grau – kannst du nicht in Farbkontraste ausweichen, du kannst nicht sagen: ich male die Kiefer halt rot, den Hintergrund Grün. Nein, du musst die Helligkeitswerte erfassen. Und diese Werte sind halt „relativ“.

Diese Baumgruppe stand „schwarz“ gegen einen hellen Hintergrund:

Ich ging dann ein paar Schritte weiter und drehte mich um. Da stand sie plötzlich hell vor einem dunklen Hintergrund:

Philosophisch ist das interessant, denn es illustriert die „Relativität von Hell und Dunkel“, die uns nicht nur bei ethischen Fragen ständig begleitet. Zeichnerisch aber ist es keine besondere Herausforderung, solange das Objekt und der Hintergrund einigermaßen gleichmäßig ausgeleuchtet sind. Was aber, wenn die Stämme, wie es in der Natur ja ständig der Fall ist, teilweise von der Sonne bestrahlt und teilweise verschattet sind? Dann tendieren sie dazu, sich in Flecken aufzulösen, und der Zeichner flieht in die Konturlinie, um seinen Gegenstand nicht zu verlieren. (Zum Vergrößern anklicken)

Die Parallele zu unserem Umgang mit „gut und böse“ ist natürlich auch hier gewollt: Im Flimmerlicht der Ambivalenz (von der ich vorgestern sprach) ziehen wir gern Konturlinien, um zu einem sicheren Urteil über Menschen und Ereignisse zu kommen: hell oder dunkel, gut oder böse. Zwar anerkennen wir theoretisch gern das „sowohl-als auch“ und „je nach den Umständen“, doch praktisch hat das geringe Folgen. Der KZ-Mann, der Blumen liebt, der wohltätige Priester, der Kinder missbraucht, die aufopfernde Mutter, die ihr Kind schlägt, der herrliche Dichter, der Frauen verächtlich behandelt …. sie alle haben Teil an der Relativität von Hell und Dunkel – und ich natürlich auch. Praktisch aber kommen wir meist zu einem absoluten Urteil, indem wir die Kontraste verstärken und notfalls auch eine Konturlinie ziehen, damit uns der Gegenstand unseres Urteils nicht wegrutscht. Und wir sagen: dieses hier ist gut, jenes böse.

Ich aber möchte es heute gern ein wenig in der Ambivalenz halten. Hell beschienene und verschattete hohe Zypressen sowie einige  junge Bäume:

Waldstück mit Stämmen, die teils von der Sonne beschienen werden.

Bearbeitung eines Bildausschnittes. Konturlinien verschwinden teilweise, Vorder- und Hintergrund fließen zusammen, Kontraste vermindern sich.

Ähnlich ist es, wenn ich sage: „Ich bin reich – im Vergleich zu den Menschen Afrikas“ oder „ich bin arm im Vergleich zu wirklich reichen Leuten“, dann bin ich einmal hell vor einem als dunkel und einmal dunkel vor einem als hell interpretierten Hintergrund.

Im Original habe ich den Baumstamm durchgehend weiß gelassen. Die Form des Baums erhalte ich durch die Konturlinie. Bei der Bearbeitung habe ich den Stamm eingefärbt. Er ist jetzt weder hell noch dunkel. Dadurch wurde der  Helligkeitsabstand vom dunklen Gebüsch verringert, der zum hellen Himmel aber vergrößert.

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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20 Antworten zu 28.-29.Dezember, siebte Raunacht: Relativität von Hell und Dunkel

  1. Ulli schreibt:

    Ich las gerade eben einen sehr langen Artikel über die Rolle der Maria Magdalena = Maria aus Magdala in der Kirche Falls er dich interessiert kannst du ihn hier nachlesen, ich habe ihn geteilt: https://www.facebook.com/ulli.gau
    Neue Funde bringen immer auch neue Erkenntnisse, so, wie wenn man um einen Baum herum geht, ein Baum: einmal beleuchtet, einmal im Schatten und schon erscheint er in einem „anderen Licht“ – wie in der Philosophie, je nachdem wohin wer schaut, erscheint dieses oder jenes richtig oder falsch, gut oder böse. Nichts ist schwerer als möglichst alle Seiten wahrzunehmen/aufzunehmen, geschweige denn eine Haltung einzunehmen, die sagt: es ist was es ist.
    Letztlich geht es ja im menschlichen Gefüge auch immer um ihre Organisation, hieraus resultieren die „Guten“, wie die „Bösen“ und wenn sich das Weltbild ändert, ändert sich auch das Menschenbild.
    Herrjeh, liebe Gerda, da hast du ein großes Fass aufgemacht!!! 🙂
    Da bedarf es letztlich einer Abhandlung, um dem Thema auch nur annähernd gerecht zu werden. Darum belasse ich es jetzt erst einmal hierbei und sage danke.
    Liebe Grüße
    Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      ich muss mal wieder über Synchronizität lachen: Heute am Mittagstisch meinte Panos, der heutige Papst versuche, sich an einige schwierige Themen der Kirche heranzutasten, so etwa eine Revision des Zölibats (wegen der vielen Missbrauchsfälle). Ich antwortete rigoros, das sei mir viel zu wenig, das Zölibat sei Nebensache, die ganze hierarchische männliche Kirche gehöre abgeschafft. Frauen seien weiterhin nur als Gläubige, nicht aber als Amtsträgerinnen zugelassen. Wenn schon Papsttum, warum nicht eine Päpstin. Die würde ja (wie viele Frauen) vielleicht an Christus glauben, anders als die meisten katholischen Würdenträger…. Im Frühchristentum sei es den Frauen durchaus nicht verweht gewesen zu lehren…. etc pp. Und nun kommst du mit diesem Text daher, der genau davon spricht.
      Die „Relativität von Hell und Dunkel“ kann man natürlich nicht in einer Abhandlung, und wäre sie noch so lang, abschließend behandeln. Mir gings um das Nachdenken beim Zeichnen und die Analogien, die sich da auftuen. Ich lese übrigens grad „Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber“ von Malouff. Auch das ist, wie auf die andere Seite der Bäume zu gehen, die faktisch zwar dieselben bleiben, aber einmal hell vor dunkel und einmal dunkel vor hell stehen und daher völlig verschieden wirken.

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      • Ulli schreibt:

        Seitdem ich den Film von Anselm Kiefer gesehen habe muss ich immer wieder an das Interview denken, als er sagte (sinngemäß): „Im Grunde genommen wissen wir nichts … erst gab es ein schwarzes Loch und jetzt schon ganz viele …“ Ich habe sofort genickt. Das gibt es Papyrus – Fragmente – Messbares soweit die entwickelten Messgeräte funktionieren, aber darüber hinaus gibt es so viel mehr und darunter auch! Macht und Gier sind heftige Dämonen, die der Welt ihre Gesichter aufdrücken und das schon seit Jahrtausenden! Wieso nicht Päpstin, nicht Kaiserin, nicht Frau = Mensch! Ja Gerda, diese ganze hierarchische Kirche gehört abgeschafft, überhaupt dieser ganze Hierarchiequatsch!!! Tausende von Jahre wirkt es und nix als Kriege und Verbrennungen, Vertreibungen, Verleumdungen … jeder gegen jeden und Gott gegen alle. Fürsorge, Miteinander, Mitgefühl, das braucht die Welt und wenn das dann weiblich ist, dann eben weiblich …
        Über die Synchronizität lächel ich nun leise 🙂

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    • www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

      Ich habe vor Jahren Mirjam von Luise Rinser gelesen . Ein wunderbares Buch, das von Mirjam von Magdala erzählt, der schönen Makkabäer-Tochter, die den Sinn des Lebens sucht und sich selbst und so zu Jesus findet. Ich glaube, es würde Dir sehr gefallen, liebe Ulli.

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      • gkazakou schreibt:

        mir, glaube ich, auch, liebe Bruni! Meine Mutter las alle Bücher von Luise Rinser, ich nur wenige. Sie war übrigens die erst Schriftstellerin, die ich leibhaftig zu Gesicht bekam – sie war zu einer Dichterlesung an unserem Gymnasium eingeladen. Und wie das dann leider manchmal so ist, fand ich die Frau blass und wenig eindrucksvoll. Sie hatte wohl wenig theatralisches Temperament.

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      • www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

        Ja, natürlich, liebe Gerda, für Dich auch! Es öffnete mir den Blick auf eine intelligente, denkende Frau und wohl inmitten der Jünger eine herausragende Frauengestalt.
        Du konntest sie also real erleben, diese bekannte Schriftstellerin. Toll, liebe Gerda.
        Leider ist es nicht jedem Schreiber gegeben, vor Menschenmengen zu glänzen.
        (Ich war von Hilde Domin vor vielen Jahren auch nicht begeistert, mag aber ihre Lyrik sehr.)

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      • Ulli schreibt:

        Luise Rinser ist ja persé schon eine Garantie für gute Literatur, danke für diesen Tipp!!!

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  2. kormoranflug schreibt:

    Schöne Baumstudien für die Nacht.

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  3. afrikafrau schreibt:

    Deine Zeichnungen, deine Gedanken, deine Assoziationen gewaltig, wer hat eigentlich das Recht, in zwei Kategorien einzuteilen “ Gut“ “ Böse“ die Schattierungen dazwischen möchte keiner sehen,
    sind wir alle irgendwie blind geworden, die Zwischentöne, im Leben, vor allen Dingen in der Kunst,
    das genaue Hinsehen, Hinterfragen, nicht einfach übernehmen, was uns serviert wird, wie auf dem Tablett. Die Einteilung nur in „Gut “ und „böse“ ist zu einfach…… ein Wahnsinns Thema, ein wichtiges Thema, deine Gedanken dazu, haben mich zu diesem Statement angeregt.

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  4. Linsenfutter schreibt:

    Ich wünsche einen guten Rutsch und ein gesundes und erfolgreiches 2019.

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  5. Nicht nur die Bilder sind eindrucksvoll, sondern auch deine Worte dazu. Sie schaffen eine zusätzliche ästhetische Dimension jenseits der „Erklärungen“.

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  6. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Was für ein Text, liebe Gerda.
    Dunkel im Hell sehe ich und Böses im Guten und Gutes im Bösen. So ist der Mensch, ist es immer gewesen. Du gehst über die von der Sonne beschienenen Bäume und denen, die im Schatten liegen zur Relativität von Hell und Dunkel. Ich schlucke (lehrst mich wieder Denken) und lese, lese und weiß, wie recht Du doch hast. Ich bin reich und fühle mich doch manchmal zu arm an Gefühl dem gegenüber, der um Almosen bettelt.
    Mein schlechtes Gewissen hilft ihm nicht und ich kaufe die Straßenzeitung, werfe dann ein Geldstück in eine Büchse und weiß, nichts davon hilft wirklich. Ich bin nicht in der Lage, sie aus ihren Schatten zu holen und fühle mich arm.

    Sie waren keine Ungeheuer, obwohl sie Ungeheuerliches taten, die Menschenschinder in den KZs. Das Böse nistete sich ein und drängte ihr Hell zurück. Das Böse ist Teil in uns und inwieweit wir in der Lage sind, es zu beherrschen, das weiß ich einfach nicht.

    Und hinter all diesen Gedanken treten Deine wundervollen Zeichnungen in den Hintergrund und ich grübele weiter und weiter…

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  7. elsbeth weymann schreibt:

    https://www.deutschlandfunk.de/frauen-in-der-kirche-prophetinnen-juengerinnen-apostelinnen.886.de.html?dram:article_id=272966
    Liebe Gerda, nur kurz zur Info (s.link): Frauen hatten in den christlichen Urgemeinden sehr wohl leitende, auch priesterliche Ämter , waren auf Augenhöhe mit den Männern.Die Männerdominanz ist eine viel spätere Macht-Entwicklung.– Angst ?? Bishin zum Ändern der Namen –aus eindeutig Junia wurde „Junias“ u.s.w.
    Dank auch für die Licht/Finsternis Gedanken…mir fiel da spontan ein :Johannes 1, 5 :…καὶ τὸ φῶς ἐν τῇ σκοτίᾳ φαίνει, καὶ ἡ σκοτία αὐτὸ οὐ κατέλαβεν….“und das Licht scheint im Innern der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht überwältigt“…sie bedingen sich, gehören zusammen…sehr lebensrealistisch !
    Lieben Gruß
    und “ gut Rosch“. !!! das ist Jiddisch und heißt “ guten Anfang!“ . Daraus wurde dann das : “ gut´n Rutsch“.
    Elsbeth

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Elsbeth, für deine wieder so informativen Ergänzungen. Gut Rosch also! Gutes Neubeginnen dir und den deinen! Ob wir uns im kommenden Jahr wohl sehen? Was meinst du?

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  8. Ann December schreibt:

    Was für interessante Gedanken, liebe Gerda! Ich glaube, ich kann solche Ambivalenzen ganz gut aushalten, für mich hat es viel mit Akzeptanz zu tun. Mich erschrickt es manchmal, dass andere dann hin und wieder ganz wütend werden, auch mit mir, weil es für sie nur schwarz oder weiß gibt, oder weil sie nur schwarz oder weiß haben wollen. Leider wohnt Gut und Böse aber ja in uns allen. Was ich schwierig finde ist, dass ich zu einigen Sachen gar keine Meinung mehr habe, weil ich mich nicht entscheiden kann, welche Seite ich nun wähle, mich also für keine Meinung entscheiden kann. Aber vielleicht bringt ja die Zeit eine Lösung, zumindest hoffe ich, das man manchmal nur warten muss…

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    • gkazakou schreibt:

      danke, Ann, mit geht es ganz ähnlich oder vielleicht sogar noch schlimmer. Wenn ich eine Sache lange genug durchdenke, komme ich irgendwann beim Gegenteil meiner ersten Überzeugung an. Bei Shakespeare heißt das „So macht Bewußtsein Feige aus uns allen…“ (Hamlet)

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