abc-etüde: Als der Herr das Weib erschuf (Kata-Strophen)

Seit zehn Tagen läuft die neue abc-etüden-Runde von Christiane, und es wäre Sünde und Schande, wenn ich dazu nicht ein paar Kata-Strophen beitragen würde. Die Wörter

Raureif
sündig
verrücken

spendete Yvonne von umgebucht (herzlichen Dank!), die Einladungskarte hat Christiane wieder selbst gestaltet. 300 Wörter sind erlaubt, ich habe 297 verbraucht. Hier sind sie:

Als der Herr das Weib erschuf

Als der Herr das Weib erschuf
Untergrub er seinen Ruf
Als Mann der Weisheit und der Tugend
Den man als Vorbild zeigt der Jugend.

Kaum sahn die Engel dieses Weibchen
Noch völlig nackigt, ohne Leibchen
Und ohne Rock und ohne Schleier
Ergriffen sie erbost die Leier
Und psalmodierten wutentbrannt:
„Aha, wir haben dich erkannt!
Wir Engel waren dir nicht recht,
du wolltest eine mit Geschlecht
ihr beizuwohnen voll Entzücken
bis Tag und Nacht sich dir verrücken!
Und tust dus nicht, so tuts der Mann
Der bald nicht mehr begreifen kann
Dass sündig ist, was er da treibt
Auch wenn die Bibel es so schreibt.
Statt Weihrauch fromm dem Himmel spenden
Wird er bald spüren in den Lenden
Die Kraft der Zeugung, und vergessen
Was einem Frommen angemessen.
Hallee-lujaa, die Teufel reiben
die Hände sich, so kanns nicht bleiben!
Du musst, o Herr, ein Mittel finden
Dass wieder Schluss ist mit den Sünden.“

Der Herr dacht nach, und auf die Rosen
Senkt sich der Raureif, und in Hosen
Sind nun gesteckt die Männerleiber
In Tuch und Rock die geilen Weiber
Sie sitzen fromm erwartungsvoll
Dass sie ein Freier holen soll
Der gottesfürchtig, wenn auch alt
Dem sündgen Leib gebietet: Halt!
Du darfst zwar seinen Ofen heizen
Für deinen Mann die Beine spreizen
Auf dass er seinen Samen senke
In dich und dir so Kinder schenke.
Doch mit der Lust ist Schluss, mein Lieb,
denn Lust ist nur ein Teufels-Trieb.

Doch immer, wenn der Lenz sich naht
Weiß Gott sich kaum noch einen Rat.
Denn wie die Rosen voll Entzücken
Den Duft verströmen und berücken
Die Nase mancher Menschenkinder,
so werden Mann und Frau auch Sünder,
sobald die Leiber sich berühren
und hinter fest verschlossnen Türen
sich ineinander ganz verknäulen.
Die Hölle singt, die Engel heulen.

297 Wörter

Diese Legearbeit habe ich schon mal gezeigt. Angefertigt habe ich sie mit den Schnipseln, die Jürgen mir schickte. Mehr dazu dort.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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31 Antworten zu abc-etüde: Als der Herr das Weib erschuf (Kata-Strophen)

  1. Werner Kastens schreibt:

    Wieder mal köstlich!

    Gefällt 1 Person

  2. kunstschaffende schreibt:

    Gerda, dass ist suuuper! Deine Ironie ist einfach genial!🤣🤣🤣👏👏👏😊👌👍🙋‍♀️

    Gefällt 1 Person

  3. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Liebe Gerda, es ist zu schön, das kata – strophale Sündengedicht. Ich mußte es laut vorlesen, wobei ich manchmal nicht weiterkam, weil ich immer wieder lachen mußte.
    Wenn das die Engelein und der Herr da oben lesen, dann bekommst Du entweder eine höllische Strafe wegen Ehrfurchtsverweigerung oder auch einen Sitz diekt neben ihm, weil er mit Dir lachen kann 🙂

    Gefällt 3 Personen

  4. Christiane schreibt:

    Liebe Gerda, ich lese und staune: Die Englein sind die Bösen, die uns den Spaß an der Freud missgönnen, bzw. ihrem Erschaffer? Ey, die sollen sich doch mal an Halleluja und Manna halten und sich nicht einmischen!
    (So oder so, der letzte Satz ist zu köstlich. Ich lach mich weg.)
    Vielen, vielen Dank dafür!
    Liebe Grüße
    Christiane, über Gebühr erheitert

    Gefällt 4 Personen

  5. Na, das ist doch wieder mal ein köstliches Gedicht!

    Gefällt 2 Personen

  6. Ulli schreibt:

    Ich hab meinen Spaß 🙂

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  7. Myriade schreibt:

    Wieder eine Kata-Strophe, die das hohe Niveau hält. Ist der letzte Satz nun höllisch, teuflisch, himmlisch oder englisch 🙂

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  8. Karin schreibt:

    Gott liebt das Weib, ist auch ein Sünder,
    Denn er möchte Himmelskinder,
    Damit nicht leidet der göttliche Ruf
    Schuf er schnell zu dem Behuf
    Ein kleines Abbild von sich als Tor
    Einen oft danebenschiessenden Gott Amor.

    Deine Ideen sind auch göttlich, liebe Gerda, ich habe herzlich gelacht und der weise Gott hat bei den Engeln ja zur deren Besänftigung die Bengel geschaffen.
    Schmunzelgruss vom Dach Karin

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  9. Brigitta Martin schreibt:

    Dieses herrliche Gedicht ist ein Kunstwerk! Die Spontanität und das raffinierte Einfangen der drei Wörter mit einem großen Netz an Witz, Erzählkunst und Fantasie ist wunderbar.
    Von der hinterhältigen Abrechnung einer erfahrenen Frau mit der männlichen/himmlischen Lebens- und Liebes-Illusion ganz zu schweigen….
    Danke!

    Gefällt 2 Personen

  10. kowkla123 schreibt:

    Liebe Gerda, nun weiß ich Bescheid, beste Grüße von mir zu dir.

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  11. reginatauschek schreibt:

    Sehr originell 😂😂

    Gefällt 1 Person

  12. Pingback: Schreibeinladung für die Textwoche 49.50.18 | Wortspende von Elke H. Speidel | Irgendwas ist immer

  13. Anna-Lena schreibt:

    Da hat dich die Muse aber intensiv geküsst, liebe Gerda 🙂 .

    Gefällt 1 Person

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