Cafe Aman Istanbul: „Von Konstantinopel komme ich her“

Nicht, dass du meinst, ich ginge jeden zweiten Tag in das Megaro Mousikis – nein, durchaus nicht! Aber ich war gestern schon wieder da. Die Szenerie war freilich eine vollkommen andere als am Sonntag. Eine riesige Leinwand bedeckte die Orgel, davor, winzig von meinem Platz in der letzten Reihe des obersten Rangs, die Pulte für acht Musiker eines Rembetika-Ensembles, auch für zwei Sänger. Auf der vorderen Bühne vier Tavernentische und zehn Stühle, auf denen sechs Tänzerinnen und vier Tänzer von der Insel Kos Platz nehmen würden. (Zur Insel Kos findest du hier ein paar Informationen.)  Wenn du das Bild anklickst, kannst du sehen, was ich hier grad beschreibe. Gesponsert wurde die Veranstaltung – und das ist schon bemerkenswert in den heutigen Zeiten – gemeinsam vom Ökumenischen Partriarchat von Konstantinopel, vom Pankosmischen Verband der Konstantinopoliten, von den Turkish Airlines und den Freunden des Megaro Mousikis.

Das Haus mit seinen fast 2000 Sitzplätzen füllte sich wieder bis auf den letzten Platz. Viele waren mit Bussen angereist – die Busse standen nun aufgereiht vor dem imposanten Bau des Megaro, der 1991 seine Tore erstmals öffnete und dessen hervorragende Akkustik dem Österreicher Heinrich Keilholz zu verdanken ist.

 

In den zahlreichen „Cafe Aman“ von Istanbul trafen sich zur Zeit des Osmanischen Reichs (19. und Anfang des 20. Jahrhunderts) griechische und türkische Musiker, es wurde improvisiert, gesungen, getanzt, Wasserpfeifen und Haschisch wurden herumgereicht, und es entstand eine Tradition, die sich Rembetika nannte, vielleicht nach dem Wort remvaso, tagträumen.

Die Gruppe „Cafe Aman Istanbul“ wurde 2009 von Stelios Berberis (Gesang) und Pelin Suer (Gesang) in Istanbul gegründet. Die Instrumente: Geige (Manolis Kottoros), Bouzouki, Oud und Tsoumpous (Giorgos Marinakis), Akkordeon (Aydin Tsiratskioglu), Gitarre (Bora Tseliker), Schlagzeug (Osan Sakir Uygan und Andreas Papas), Kontrabass (Giorgos Ventouris), Kanonaki oder Psalter (Mert Demirtzioglu). Ziel der Gruppe ist, die einmalige Musikkultur des kleinasiatischen Raums, die sich über lange Zeiträume hin entwickelte, als noch Menschen und Stile vieler Volksgruppen dort gemeinsam existierten und sich gegenseitig befruchteten, zu studieren und weiterzugeben. Lebendig und zugleich schwer nostalgisch der Musikeindruck, auch die Bilder – Postkarten, Daguerrotypien und Gemälde -, die auf die große Leinwand projiziert wurden. Eine untergegangene Welt, aber in den Herzen der Menschen lebendig, wie sich zeigte, als sich aus dem riesigen Rund des Megaro viele Stimmen erhoben, die griechischen und türkischen Texte mitsangen, und sicher am liebsten auf die Füße gesprungen wären, um mitzutanzen.

 

Du fragst dich vielleicht, was die Menschen sich erhofften, dass sie weder Kosten noch Mühe scheuten, um die Guppe aus Istanbul zu erleben? Die meisten stammten wohl durch Eltern und Großeltern aus Kleinasien, aus Konstantinopel und Smyrna (Istanbul und Izmir). 1923 aus Kleinasien vertrieben bzw ausgetauscht, dann durch Progrome auch aus Istanbul vertrieben, bleiben sie ihrer alten Heimat und der griechisch-türkischen Mischkultur der Städte doch eng verbunden.

Mitschneiden konnte ich gestern nicht, leider kann ich also auch nicht die hervorragende Tanzgruppe aus Kos zeigen, die mich begeisterte: wie schon bei den Skulpturen der alten Griechen hat man das Gefühl, dass der Boden nur berührt wird, um abzuheben und in der Luft zu tanzen.  Im Netz gibt es ein paar Einträge mit Veröffentlichungen der Gruppe, zB hier und bei fb.  Wer den Film Zimt und Koreander  gesehen hat,  versteht die Faszination dieser vergangenen Welt ein wenig besser. Im griechischen Original heißt der Film übrigens „Politiki Kouzina“ – ein Wortspiel, denn politiki bedeutet sowohl „politisch“ als auch „aus Konstantinopel“, von der Griechen einfach als „Polis“ – Stadt – sprechen. Auch die umwohnenden Türken und Kurden taten das, denn das Wort Istanbul ist eine Verballhornung von Is-tin-Poli („hinein in die Stadt“). Mich hat die Veranstaltung mit ihrer zutiefst versöhnlichen message glücklich gemacht.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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12 Antworten zu Cafe Aman Istanbul: „Von Konstantinopel komme ich her“

  1. Ulli schreibt:

    Liebe Gerda, vielen Dank für diesen informativen Beitrag, bei dem Konzert wäre ich gerne dabei gewesen. Musik, sowie Kunst jeglicher Art verbindet über alle Grenzen und Nationalitäten hinweg, oder KANN verbinden, dafür gibt es viele wunderbare Beispiele, durchaus auch in modernen Formationen. Ich mag es, wenn völkerverbindende Traditionen gepflegt werden, deswegen muss man ja nicht unweigerlich melancholisch in die vergangenen Zeiten schauen und lamentieren. Nur wäre es natürlich mehr als wünschenswert, wenn das Verbindende in der Kunst zu einer Art Leitstern für die Politik werden könnte (ich träum so gerne, lach, ja klar … mutig 🙂 ).
    Herzliche Grüße am Donnerstagabend an dich, Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Da tagträume ich gern mit dir! ich las übrigens eben von der geplanten Kandidatur von Marianne Williamson (a course in wonders, food angel u.a.) für die US-Präsidentschaft 2020 und bin irgendwie ganz high. Sollte es nicht wirklich möglich sein, dass sich heilgende Kräfte auf unserer Erde durchsetzen?

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      • Ulli schreibt:

        Heute Nachmittag sprach ich mit Freunden über das eine und andere in der Welt. Ich komme immer wieder bei dem an, was auch in der Welt ist, was schon gelebt und gewirkt wird, das nährt mich, das schenkt mir Zuversicht und Vertrauen, kurzum, ich bin plötzlich nicht mehr bereit auf die Angstmachmaschine einzusteigen. Dieses große Lamento über all das was schief läuft bringt uns keinen Millimeter weiter, tun, statt schwatzen! Und nun forsche ich mal ein bisschenwasüber Marianne Williamson …

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      • Ulli schreibt:

        P.S. Geduld ist auch nicht meine Stärke, aber nichts anderes ist angesagt, wenn es um die Veränderung von Gesellschaften geht, Geduld, gepaart mit einer gehörigen Portion Zuversicht und Willen.

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      • Ulli schreibt:

        Marianne Williamson: A return to love … ja bitte!

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  2. Eindrucksvoll und beneidenswert!

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  3. kopfundgestalt schreibt:

    Tanzgruppe aus Kos …

    Ich bin jetzt im 3. oder 4. Jahr im Tanzabonnement Schweinfurt. Dieses Mal dachte ich zuvor, daß ich mit diesem Abonnement aufhöre, aber die letzte Aufführung von 75 Minuten war so gewaltig, daß ich gerne weiter hingehe.
    Da war ein Tänzer dabei, der schien recht groß und muskulös, eigentlich völlig ungünstig (denke an Margot Werner). Aber der kam kaum aus dem Atem und wirkte auch sehr leichtfüssig. Merkwürdig.
    ich bilde den Vergleich zu Alberto Quantorena, den 400 m Läufer aus Kuba, den ich vor 35 Jahren in Stuttgart sehen durfte. Er wurde „Pferd“ genannt, weil er SCHWER wirkte, groß und schwer. Seine Strategie waren große Schritte und unbändige Kraft, aber er war wie ein Athlet gebaut.
    Nie vergesse ich ihn.
    Ich habe Moses gesehen, Harald Schmdit, Mike Boit und Quantorena.

    Entschuldigung für diesen Sidestep.

    (Netz bei meiner Frau nachwievor unterirdisch, bin grade auswärts.)

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  4. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Ich weiß nicht recht, ob wir bei der türkischen Hochzeit (die echte Hochzeit fand schon vorher in Deutschland statt) meiner Tochter einen Hasapiko getanzt haben. Auf jeden Fall waren es Ringtänze, die immer einen Vortänzer hatten und was mich damals sehr verblüffte, alle konnten es, es gab keinen, der nicht auch irgendwann mitanzte. Der Älteste tanzte die gleichen Schritte wie der kleinste und jüngste Tänzer.
    Ich kann mir gut vorstellen, daß Dich dieser Abend sehr beglückt hat, liebe Gerda, denn es ist mitreißend, ob man es möchte oder nicht, man kann sich diesem alten Sog kaum entziehen.

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    • gkazakou schreibt:

      der Hasapiko ist ein Linien-, kein Ringtanz, und relativ schwierig. Die meisten Griechen und sicher auch die meisten Türken können alle üblichen Tänze mittanzen, denn sie lernen sie schon sehr früh, oft bereits auf dem Arm der Mutter und des Vaters. Und so vergessen sie den Rhythmus nie, auch wenn sie uralt sind. Natürlich war es in dem großen Saal nicht so intim wie bei Familienfeiern, aber dafür waren die Tänzer perfekt. Besonders der Hasapiko, der von vier Männern in Anzügen getanzt wurde (aber wie!!) , hat mich bezaubert.

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