Montags ist Fototermin: Führung in Rhamnous

Gestern ergriff ich die Gelegenheit meines Athener Aufenthalts, mich mit einer Freundin einer archäologischen Führung in Rhamnous, dem Heiligtum der Nemesis, anzuschließen. Ich war zuletzt im März 2017 dort. Diesmal war ich nicht illegal, durch ein Loch im Zaun schlüpfend,  hineingelangt, und ich versuchte auch nicht, die Klamm hinunterzuklettern, sondern wanderte ganz offiziell, mit einer Gruppe interessierter Athener, in dem mir wohl vertrauten Gelände herum. Neu war für mich eine große Halle, in der die Reste des ursprünglichen Tempels sowie Urnen und Grabstelen aus dem Friedhofsbereich aufgestellt waren, die meisten wohl aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert.

Das Material besteht aus dem ziemlich grobkörnigen pentelischen Marmor – im Gegensatz zu dem feinkörnigen parischen Marmor, in dem die Skulptur der Nemesis erstrahlte, bis sie im 5. nachchristlichen Jahrhundert, auf des christlichen Kaisers Theodosios Geheiß, zertrümmert und zu kleinsten Marmorstückchen zerhackt wurde. Nemesis, die Göttin, die die Einhaltung der Naturgesetze bewachte, war nicht mehr zeitgemäß.

Hier meine Annäherung an eine Marmorsäule aus pentelischem Marmor.

Die Natur hält in Nemesis‘ Herrschaftsbereich noch stand. Es war heiß, aber eine leichte Wolkenschicht machte die Hitze erträglich. Mich absondernd von der Truppe streifte ich durchs Gelände und sah dies und das „am Rande“.

Ein natürliches Toten-Relief auf einem flachen Stein …

ein winziges Grabmal aus Kraut und Stein

Einen mit unbekannten Schmetterling, den ich vergeblich versuchte, im Flug zu erwischen und darüber den Anschluss an die Gruppe fast verlor.

Zwei sehr große durchlöcherte Steine, die einst vermutlich dem Hochhieven von Waren aus den Schiffen dienten. Durch das Loch lief wohl ein Tau.

Der Weg hinunter zum Kastell mit seinem Wachturm und dicken Mauern, seinen Kasernen für die Rekruten, seinem Theater … ist steil und in der Mittagszeit beschwerlich, das Meer unerreichbar. Daher konnte ich, begleitet nur von einer Wächterin, die wunderbaren Aussichten auf das Meer und die Halbinsel Euböa allein genießen und alte innere Bilder wieder beleben.

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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27 Antworten zu Montags ist Fototermin: Führung in Rhamnous

  1. mynewperspective schreibt:

    Herzlichen Dank,für diese schöne und interessante Führung.

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  2. Ulli schreibt:

    Nemesis, so lese ich, war die Göttin des gerechten Zorns, die insbesondere die menschliche Selbstüberschätzung bestrafte, tja … das mag wohl dem einen und anderen nicht so Recht gewesen sein, zumal wenn es sich noch um eine Göttin und nicht um einen Gott handelt, schade, sehr schade, dass diese Skulptur zerstört worden ist!
    Ich danke dir für alle diese Bilder und den Rundgang,
    liebe Grüße, Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Ulli, Nemesis ist zunächst keine rächende Göttin. Sie wachte über die Naturgesetze, so dass die Erde in schönem Gleichgewicht blieb, und auch die Menschen ehrten sie. Im Grunde repräsentierte sie die karmischen Gesetze des Ausgleichs, nur eben nicht auf der Ebene der Einzelseele, sondern der Gesamtseele. Ihre Schwester war Dike – Recht, Gerechtigkeit. Die Selbstüberhebung des Menschen, da hast du recht, ist ihr ein Graus. Sie ist jetzt sehr zornig, hat sich abgewandt. Das sahen wir vor einigen Jahren bei einer Mythen-Aufstellung vor Ort.

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      • Ulli schreibt:

        Der sogenannte „gerechte“ oder „heilige Zorn ist ja immer ein bisschen tricky und wird gerne missverstanden. Er speist sich eben nicht aus dem gekränkten oder beleidigtem Ego. Aus meiner Sicht wäre es manchmal gut, einen gerechten Zorn zu zeigen. Dieser Zorn würde sich nicht in einem unbeherrschten „Ausrasten“ und zornigem Geschrei äußern, sondern in klaren und deutlichen Worten, die nicht unversöhnlich sind, bei denen aber der Unmut und das Betrübtsein über das Geschehene und der dringende Wunsch nach einer Änderung der unguten Dinge, zu spüren sind. Dass nun Götter und Göttinnen zornig sind über die Menschen und ihr Tun lässt sich nur zu gut nachvollziehen, so, wie sie die Erde misshandeln und ausbeuten, von ihrem Umgang mit Tieren, Pflanzen, Bäumen und anderen Menschen ganz zu schweigen.

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      • gkazakou schreibt:

        Im Grunde besteht die „Strafe“ der Nemesis darin, dass sie sich abwendet. Denn dann geraten die Naturgesetze, die alles im Gleichgewicht halten, in Unordnung – wie wir es immer wieder sehen. Dann fällt zu viel oder zu wenig Regen, dann folgt der Dürre die Überschwemmung, dann kämpfen die Elemente gegeneinander, anstatt in Eintracht…Nemesis ist also nicht aktiv strafend (wie der christlich-jüdische Gott), sondern wirkt verheerend, wenn sie sich abwendet, zurückzieht.

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      • Ulli schreibt:

        …so wie Demeter alles verdorren ließ. Wehe wenn die Göttinnen zornig werden!!!

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    • gkazakou schreibt:

      Sie war nicht zornig, glaube ich, sie war traurig, schwach, ihres jugendlichen Anteils beraubt, der in der Erde starb wie der Samen, wenn man ihn in die Erde legt. Wie die vertrocknete Blüte der Tulpe, die so oft in den Blogs gezeigt wird.
      Demeter und Persephone sind eigentlich eine Gottheit im Mutter- und Tochter-Aspekt. oder, bezogen auf die Naturvorgänge: Demeter repräsentiert einerseits den gesamten Kreislauf, andererseits – wenn der jugendliche Aspekt abgespalten wird – den der alten Mutter.
      Später, als die Herrschaft über Himmel, Meer und Unterwelt getrennt von den drei Brüdern Zeus, Poseidon und Hades übernommen wurde, verehrte man sie zwar immer noch als Erd- und Getreidegöttin, aber sie gehörte nicht zu den 12 Olympischen Göttern. Genauso wenig wie Hekate (die Hundertgestaltige). Nur die friedliche Hestia (Göttin der Familie und des Herdfeuers) zog in den Olymp, während die „große Göttin in ihren verschiedenen Aspekten“ (Hera, Artemis, Athene, Aphrodite) ihren Charakter und teilweise auch ihre Gestalt und sogar ihre Entstehung unter der patriarchalen Gottesvorstellung veränderten.

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  3. wildgans schreibt:

    Wie schön! Ein paar von den letzten Bildern sehen nach Gemälde aus!
    Kunst tut gut!
    Gruß von Sonja

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  4. lieberlebenblog schreibt:

    Faszinierend ! Danke, dass du uns teilhaben lässt … und möge Nemesis uns allem zum Trotz wohlgesonnen bleiben!
    Herzliche Grüße,
    Silke

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Silke, Nemesis ist uns nicht mehr wohlgesonnen, wie ich eben schon schrieb. Wir machten vor Jahren eine Mythenaufstellung vor Ort. Nemesis erschien kurz und zog sich gleich wieder zurück in die Natur. Mit Menschen wollte sie nichts mehr zu tun haben. Erst als ein vom Krieg verkrüppelte junger Flüchtling sie bat, erschien sie schließlich, ließ sich herab. Es ist falsch, sie als rächende Göttin zu sehen. Ihre Abwesenheit ist die Strafe, denn ohne sie geraten die Naturgesetze ins Chaos.

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  5. Myriade schreibt:

    Schön, die Details am Rande! Ich dachte Nemesis wäre eine Schicksalsgöttin, bei der der rächende Aspekt am einzelnen Menschen im Vordergrund steht. So wie du sie beschreibst, finde ich sie weniger beunruhigend …..

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    • gkazakou schreibt:

      Danke Myriade. Sie wurde später umgedeutet, wie so viele andere (insbesondere weibliche) Gottheiten. So jedenfalls sehe ich es.

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    • gkazakou schreibt:

      Meine Deutung ist nicht die gängige. Ich fand die durch längere Beschäftigung und Nachdenken. Dazu auch in meinen anderen Kommentaren. Die Vorstellung einer aktiv strafenden Gottheit ist so falsch wie die eines aktiv strafenden Karma.

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      • Myriade schreibt:

        Der Gott des alten Testaments, also der jüdische und christliche ist doch aber zum Beispiel ein sehr aktiv strafender Gott, ebenso der islamische Gott. Strafe ist ja sogar ein ganz wichtiges Thema in diesen Religionen …

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    • gkazakou schreibt:

      Vollkommen richtig. Diesen Unterschied zu der jüdischen und im Gefolge dann auch christlichen und islamischen Gottesvorstellung (strafender Gott) versuche ich gerade deutlich zu machen. Es ist ja ein nicht auflösbarer Widerspruch in diesen Religionen, dass ihr „guter Gott“ (Gott der liebenden Allmacht) sich manchmal über das arme Menschengeschlecht hermacht und Gerechte und Ungerechte tötet. Die großen Naturgottheiten hingegen strafen nicht und belohnen nicht, sondern sie halten im Gleichgewicht. Wird etwa ein Raubtier bestraft, weil es tötet? Nein, es tötet, und trägt damit zum Gleichgewicht bei. Es geht ums All-Gleichgewicht, nicht um die Moral, die bei den alten Gottheiten gar keine Rolle spielt. Die Abwesenheit der Gottheit führt zur Vernichtung des Gleichgewichts, und die Vernichtung des Gleichgewichts ist gleichbedeutend mit Verheerung, Sintflut, Wüstenbildung, Versalzung etc. Wenn die Gottheit NICHT sorgt, sind die Menschen verloren. Daher die Rituale und Hymnen, mit denen die Menschen die Gottheiten anrufen, damit die ihr wohltätiges Werk verrichten.

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      • Myriade schreibt:

        In der Tat, es ist eine beachtliche Leistung sich den in den Schriften beschriebenen Gott als gütig und barmherzig vorzustellen.
        Die Beschäftigung mit Naturgottheiten ist sicher lohnenswert und interessant

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      • Ulli schreibt:

        Ich lese zur Zeit ein Buch über Rumi und den Wanderderwisch Schams, Schams betont immer wieder, dass Gott nichts Getrenntes von uns ist und dass er nicht straft – hier wird wieder der Unterschied zwischen Religion und Spiritualität sichtbar – die Religion = institutionierte Spiritualität, hält den Menschen klein, beschwört Bilder von aktiv strafenden Gottheiten/Karma, dies alles findet man aber in der Spiritualität nicht, sie wirft den/die Einzelne immer nur auf sich selbst zurück…

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Ulli, mit den institutionalisierten Religionen gebe ich dir unbedingt recht. aber warum rechnest du das Karma dazu? Karma ist doch nichts anderes als das, was ich selbst erschaffe.

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  6. www.wortbehagen.de schreibt:

    toll, den Kommentaren zu folgen und Deine Deutungen zu lesen, liebe Gerda!
    Nemesis, die über die Naturgesetze wacht, so dass die Erde in schönem Gleichgewicht liegt …
    Wie gut hört sich das an, aber ich glaube, sie hätte viel Verstärkung gebraucht, um bis heute die nötig Balance halten zu können.
    Das kleine Grabmal rührt mich sehr an und wie gut kann ich verstehen, daß Du fast die Gruppe verloren hattest …

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    • gkazakou schreibt:

      🙂 Ich verliere fast immer die Gruppen liebe Bruni. Wie kommt das bloß?
      ich freu mich, dass dich das kleine Grabmal anrührt. Als ich von den großen kam, war mein Auge geschult, und so sah ich es.

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      • www.wortbehagen.de schreibt:

        🙂 , liebe Gerda, das geht mir auch immer so. Sie sind so schnell, die Gruppen, und ich schaue und schaue und komme nicht vom Fleck, weil so vieles anzusehen ist.

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  7. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Gerda,
    ein Beitrag ganz nach meinem Herzen! Ich mag es immer, wenn du Materialität wie die des Marmors betrachtest und vergleichst.
    Die eigentlich funktionellen Steine mit Löchern erscheinen mir wie Kunstwerke, die uns einen kleinen Durchblick in die Natur gestatten.
    Liebe Grüße aus dem fernen Berlin von Susanne

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  8. Pingback: Ausflug nach Ramnous | GERDA KAZAKOU

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