Objet trouvé oder: Braucht der Topf einen Deckel?

Duchamp, 1961 Die Künstler des DaDa und des Surrealismus  haben das sogenannte „Objet trouvé“ kunstfähig gemacht. Und das taten sie: Sie nahmen ein gefundenes Objekt, menschengemacht oder natürlich, das ihnen gefiel, signierten es und stellten es aus. Siehe, das ist die wahre Kunst! riefen sie den verdutzten Kunstfreunden zu. Aha, sagten diese und machten sich daran, ihrerseits allerlei Kram zu Kunst zu erklären. Da sahen sich die armen Künstler um Kundschaft und Brot betrogen. Und so fiel ihnen die Assemblage ein: Gefundene Dinge, schön und gut, aber erst durch die künstlerische Bearbeitung, durch die geniale Handschrift des Künstlers, wird das Ding zum Kunstobjekt.

Der erste und gewiss auch der klügste unter ihnen, der ein object trouvé in ein „ready made“ verwandelte, war Marcel Duchamp. 1912 montierte er das Vorderrad eines Fahrrads auf eine Achse auf einen Hocker in seinem Atelier. Es gefiel ihm, daran zu drehen,

es inspirierte ihn. MarcelDuchamp_StudioPhoto  Vielleicht inspirierte es ihn sogar zu seinem berühmtesten Werk – Nackte, eine Treppe herabsteigend  -, wer weiß? Dies Werk wurde nicht zur Ausstellung der Unabhängigen im Paris von 1912 zugelassen. Es ging den Kubisten zu weit. Akt_eine_Treppe_herabsteigendWenn sie geahnt hätten, wie Duchamp es ihnen heimzahlen würde! Nicht nur kam seine „Nackte“ in den USA in die Schlagzeilen, sondern er verabschiedete zugleich die gesamte Malerei. Es lebe das Ready-made! Nach dem Skandal, den sein Werk „Fountain“ (ein im Kaufhaus erstandenes Pissoir, das er mit einem Künstlernamen zeichnete) sogar im fortschrittssüchtigen Amerika auslöste, wandte er sich vermehrt der surrealen Wortkunst zu….

Aber Duchamps Fahrradrad-auf-dem-Hocker hatte bereits eine nicht mehr umkehrbare Bewegung in Gang gesetzt, die uns immer noch umtreibt. Das Original gibt es schon lange nicht mehr, es ging bereits 1915, als Duchamp nach Amerka umzog, den Weg aller Dinge. Aber der geistige Impuls blieb wirksam. Wir heutigen Künstler hängen irgendwie alle an diesem Drehding, das die Abkehr von der Malerei und den Beginn von Konzept-Kunst, seriellem Druck a la Warhol, Film, Video und digitaler Kunst  – und, ja warum nicht, auch meiner recycling-Legekunst einleitete. Immer schneller dreht sich das Ding, sinnierte ich, auf meine Füße achtend, denn ich ging auf einem Geröllstrand spazieren.  Da präsentierte sich mir unversehens ein Ding, das dort durchaus nicht hingehörte: ein schwerer gusseiserner Kochtopf. Und er fragte mich: „Ist diese ganze hundertjährige Kunstbewegung womöglich der Deckel, der mir abhanden gekommen ist? Fehlt der Deckel, kann die Suppe nicht kochen. Sitzt der Deckel zu fest, kocht die Suppe über. Einen gut passenden Deckel – ja, den wünsche ich mir“. So sprach der Topf. „Woher soll ich arme kleine Künstlerin so einen Deckel nehmen? Und was nützt dir der beste Deckel, wenn das Feuer fehlt?“ fragte ich zurück. Denn das Zurückfragen ist, wie jeder weiß, die sicherste Reaktion, wenn man in der Bredouille sitzt.

Kochtopf Westkueste

(Nur das letzte Foto ist mein eigenes, die anderen habe ich aus offenen Quellen des internet kopiert.)

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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18 Antworten zu Objet trouvé oder: Braucht der Topf einen Deckel?

  1. gkazakou schreibt:

    Hat dies auf MitmachBlog rebloggt und kommentierte:

    dies ist ein Nachtrag zum Stichwort der vorigen Woche> DING

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  2. bruni8wortbehagen schreibt:

    Was für eine wundervolle Geschichte vom Topf, der einen passenden Deckel sucht, liebe Gerda.
    Aus der Kunst zum Märchen und der Übergang so geschickt, als hättest Du lange darüber nachgedacht *lächel* und doch denke ich, es ist eine Deiner leichtesten Übungen,
    vom Objét trouvé, dem beweglichen Rad als Kunstobjekt, zum Strandfund zu kommen 🙂

    Ein sehr feiner Text, den ich freudig und interessiert verfolgt habe.

    Lieber Gruß von Bruni

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  3. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Gerda,
    ein perfektes Object Trouvé hast du gefunden! Du brauchst doch keinen Deckel! Auf dem Sockel in einer Galerie ist es ein Kunstwerk! Ich finde, das werk alleine hat schon genug Feuer!
    😉 Susanne

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  4. gkazakou schreibt:

    Danke, du Liebe! Es hat mir Spaß gemacht, diesen Text zu schreiben, denn ich wurde beim Schreiben fündig. Die Verbindung vom drehenden Rad zur Nackten die die Treppe runtersteigt, als wären ihre Glieder Speichen, fiel mir erst jetzt auf. Dies ist sozusagen der Drehpunkt, die Nabe des Rades. Alles andere fügte sich dann wie von selbst 🙂

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  5. bruni8wortbehagen schreibt:

    So fügte sich eines zum anderen, liebe Gerda, und es wurde ein vollkommenes Ganzes, ein sehr Schönes!

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  6. bruni8wortbehagen schreibt:

    oh, danke, das freut mich jetzt aber, und dabei vergesse ich doch das regermäßige Kommen immer wieder, ich Schussel 🙂

    Ich wünsch Dir auch einen feinen Abend

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  7. gkazakou schreibt:

    Wer ist hier der Schussel, Bruni? Wenn eine, dann ich.

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  8. kunstschaffende schreibt:

    Herrlich, der Weg zur Kunst ist unergründlich! Vielleicht ist dass die künstlerische Gabe! Ein wunderbarer Beitrag!

    Dir liebe Gerda ein schönes Wochenende! Wir haben es heiß und die Gedanken kochen vor sich hin!😰😱

    LG Babsi

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    • gkazakou schreibt:

      liebe Babsi, danke und auch dir ein schönes Wochenende! Hitze kann auch als wohltuend empfunden werden, wenn man sich seelisch drauf einrichtet und die notwendigen Vorkehrungen trifft. Koch was Gutes draus,

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  9. kunstschaffende schreibt:

    Ja, ich versuche es! Nur die MS macht da nicht mit!😱

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  10. gkazakou schreibt:

    Ich kanns mir vorstellen, Babsi, wenns schon gesunden Menschen schwer wird. Schön viel eisgekühlten Tee bereitstellen, kalte Fußbäder tun auch gut, ein nasser kalter Wickel im Nacken kann helfen … Hier ist es sehr oft und lange heiß, da muss ich sehen, wie ich meinen Organismus ohne Schaden über den Sommer bringe. Manchmal tue ich einfach gar nichts. Liebe Grüße!

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  11. kunstschaffende schreibt:

    Lieben Dank Gerda, es geht irgendwann auch wieder besser, da muss man halt durch! Bei Euch ist dass ja noch viel extremer und vor allem über einen langen Zeitraum. Wir sind ja keine Weicheier und schaffen das, gell!😜😊😘

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  12. Ulli schreibt:

    Da habe ich in einem Rutsch wieder ganz viel gelernt, danke Gerda! ich mag solcherlei sehr gerne und bitte, mehr davon 😉
    Wissen will ja geteilt werden, und wenn jede und jeder ihrs und seins verbreitet ist das am Ende eine wunderbare bunte Torte.
    Als Fan von Collagen und Montagen jeglicher Art ist so ein „Objet trouvé “ für mich natürlich etwas sehr Wunderbares, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Tingeluey war ja auch so ein Meister der Räder und Verbindungen mit Allerlei. In Basel hat er sein eigenes Museum bekommen, dort war ich schon zweimal Zugast, da gibt es viel zu schmunzeln, aber auch zu staunen und dann wieder einiges, was mich ganz still hat werden lassen.

    Auch den Topf und deinen Dialog mit ihm mag ich sehr gerne. Als Köchin muss ich dir aber widersprechen, die Suppe kocht irgendwann auch ohne Deckel, aber es dauert …
    Und … machst du ihm einen Deckel oder hast du ihn liegengelassen?
    Nun wünsche ich dir einen wunderbaren Abend und eine wohlige Nacht
    Ulli

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  13. gkazakou schreibt:

    Liebe Ulli!
    Erstmal, vielen Dank für den Hinweis auf Tinguely, der mit seinen beweglichen Objekten als einer der Erben von Duchamp durchgehen kann. Er hat sogar eine selbstzerstörerische Maschine gebaut, und eine, die berühmte Maler nachäffte. Es fehlt ihm also nicht an aufsässigem Geist. Allerdings sind seine Objekte keinesfalls Fundstücke, sondern höchst sorgfältige, ausgetüftelte Maschinen, die eher an die Schweizer Uhrmachertradition anschließen, finde ich. – Das Museum in Basel kenne ich nicht (ich kenne Basel überhaupt nicht), habe es eben ergoogelt. Ist sehr eindrucksvoll. Der Bau wurde finanziert von der weltbeherrschenden Pharmagruppe Hofmann-La Roche.
    Und so komme ich nun auch zum Topf und seinem Deckel. Der Deckel ist die Ideologie oder, nach Marx, der geistige Überbau. Die Kunst ist ein Teil davon. Das weiß auch Hofmann-la Roches. Das wissen alle Mäzene und Kunsthändler, Museumserbauer und Kunstauktionäre. Sicher, die Suppe würde auch ohne Deckel irgendwann fertig werden, wenn die notwendige Feuerung da ist, aber ist sie da?
    Du fragst, ob da auch ein Deckel lag? Nein, liebe Ulli. An solchen Orten wie unserem Geröllstrand findet man keine Deckel, und auch ich werde auch keinen herstellen. Dieser Topf ist, wie Susanne schon anmerkte, perfekt. Er braucht keinen.
    Mit diesem leicht ange-dada-igten Abendgruß verabschiede ich mich für heute. Gute Nacht!

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