Die eigene Handschrift.

Immer wieder höre ich von ansonsten klugen Menschen, sie könnten nicht zeichnen. Hierzulande heißt die Formel: „Ich kann keine gerade Linie ziehen“. Dann antworte ich: Wenn das dein Problem ist, warum nimmst du nicht ein Lineal? Ich benutze allerdings keins. (Hier: Tempelruine auf Samothrake, Aquarell, vielleicht 1992)

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Aber das ist natürlich nicht dein Problem. Dein Problem ist dein Glaube an die eigenen Fähigkeiten, der dir in der Schule ausgetrieben wurde. Mir zB wurde weisgemacht, dass ich intelligent und sprachbegabt sei, während meine Schwester die Künstlerin sei. Diese Talentverteilung ist in Familien nicht selten und wird in der Schule bestätigt. Man übt dich in dem Glauben ein, dass es einer magischen Fähigkeit, eines besonderen Talents bedürfe, um Zeichnen (oder Mathematik oder Sprachen) zu können. Doch in Wirklichkeit ist es wie mit dem Schreiben: wenn du in die erste Klasse gehst, kannst du es gewöhnlich nicht – aber irgendwann hast du es gelernt. Und nicht nur das: du hast deine eigene Handschrift entwickelt, und die Graphologen können an die Arbeit gehen.

(Hier eine Probe: gestern, Kohle auf Papier) IMG_7550

Ich beispielsweise war 40, als ich anfing zu zeichnen und zu malen. Einer, der sich auskennt (er wurde später Professor an der Kunstakademie), sagte zu mir: du hast Talent. Und plötzlich traute ich mich und zeichnete und malte in jeder freien Minute, um dieses neu entdeckte Ding, das bisher unbekannte Talent, zu entwickeln.

Und worauf kommt es an beim Zeichnenlernen? Zuerst vielleicht, dass das gemalte A auch ungefähr so aussieht, wie das vom Lehrer an die Tafel gezeichnete A (hier: Kopie nach Toulouse-Lautrec, 1982)

IMG_6410Dann beginnst du vielleicht, Gesehenes nachzubilden: einen Tempel (Thesseion, Aquarell, ca 1983)

IMG_7492 oder den Blick vom Balkon deiner Wohnung (Kohlezeichnung, 1984)

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oder du beginnst damit, deine eigenen Sachen auszuspinnen und zu fantasieren (hier: „Gruppe“, ein sehr früher Versuch, Wasserfarben auf Papier)

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und kehrst später reumütig zu deinen Übungen zurück (hier: Vergleich von Kokoschka links und Schiele Mitte-rechts)

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Und wenn du das fleißig betreibst und am Ball bleibst, dann hast du am Ende deine eigene Handschrift entwickelt. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bleibst du auch dabei zu kopieren:  andere Künstler, die du höher schätzt als dich selbst – oder die Natur, die sich dir in so vielen Formen offenbart (hier: meine eigenen Hände, Bleistift, und die Nike, Rötel, nach der im Museum von Samothrake befindlichen Kopie).

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So manche/r sagt dir dann: Toll, wie du das machst. Und ja, das Ergebnis mag beachtenswert sein. Es freut dich, dass du es so gut hingekriegt hast.

Aber das Wesentliche fehlt. „Wenn du keine eigene Handschrift entwickelt hast, ist deine ganze Kunstfertigkeit nichts“. So grummelte ich gestern vor mich hin, und warf eine Handschriftenprobe nach der anderen auf das geduldige Papier.

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Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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43 Antworten zu Die eigene Handschrift.

  1. dergl schreibt:

    Das, was du hier über deinen Werdegang schreibst, Gerda, erinnert mich an eine Frau aus meiner Künstlergruppe. Ihr seid auch etwa gleich alt, ein paar Jahre nur auseinander. Ihr wurde immer gesagt, sie soll das Malen und die Schnitzerei sein lassen, es wäre nicht ihre Stärke. Mit Ende dreißig saß sie dann interessehalber in einem Workshop (oder ähnlichem, das begriff ich ihn ihrer Erzählung nicht ganz) und ein nicht ganz unbedeutetender Kursleiter sagte zu ihr, die überzeugt war die Zeit vertrödelt zu haben, weil sie als einzige nicht skizziert hatte, dass sie sehen könnte und als sie dann mal ein Werk abgab und die Technik miesmachte Wieso? Münter, van Gogh und andere haben auch gespachtelt. seitdem ist sie dabei – beim Malen und Schnitzen – geblieben, hat auch ein paar Mal klein ausgestellt etc.

    Was gerade Linien angeht halte ich es mit Hundertwasser, der gesagt hat – der Nachweis darüber soll im Hundertwasser-Archiv liegen, ich las es in einem Kunstbuch -, dass grade Linien krankhaft sind, weil sie in der Natur nicht vorkommen. Ich habe ICP-bedingt zwei verschiedene Augenhöhen und kann daher gar keine komplett graden Linien machen, auch mit Lineal nicht. Wie fein, das ist natürlich 🙂

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    • gkazakou schreibt:

      Stimmt schon, dergl, in in der Natur kommen gerade Linien nicht vor. Gerade Linien sind eine Abstraktion. Aber das heißt ja nicht, dass man sie in der Malerei nicht benutzen darf. Auch Hundertwasser bildet ja nicht die Natur ab.
      Manchmal fällt, wie bei deiner Bekannten, ein Lob auf fruchtbaren Boden. Einen schönen Abend noch!

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      • dergl schreibt:

        Ebenso.

        Auch „krankhaftes“ – hier gemeint in der Hundertwasser-Definition – muss so dann und wann gezeigt und genutzt werden, da hast du recht. Sonst würde einem wohl auch der Sinn für Serpentinen abgehen (was man auch gut auf den Entstehungsprozess anwenden kann).

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    • gkazakou schreibt:

      Ein interessanter Gedanke! Die Gerade (die eine Idee ist) schärft das Bewusstsein für das Lebendige, das immer umwegig ist.

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      • Das ist gut gesagt! Denn es lässt sich auch auf manches andere anwenden… das Denken, das Schreiben, das Gehen, Hüpfen, Springen, Tanzen…. 🙂
        Herzlichen Gruß
        Maria

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      • gkazakou schreibt:

        Ich freu mich, Maria, über deinen Besuch und dass du den Beitrag brauchbar fandest auch für deine Zwecke. Ich verstehe sehr gut, dass du keine Zeit hast, überall rumzulesen, und bin daher doppelt froh über deine Wertschätzung. Ich wünsche dir viele kluge Mitmenschen, die deine Projekte mittragen. mit herzlichem Gruß Gerda

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  2. Pingback: Samstag, den 16. Juli 2016 | Kulturnews

  3. Arabella schreibt:

    Der Glaube an sich selbst ist eine starke Kraft.

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  4. kormoranflug schreibt:

    Bei manchen Menschen kommt das Genie erst später zum Vorschein.

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  5. putetet schreibt:

    Die eigene Begabung wird meistens von den engsten Angehörigen nicht akzeptiert oder erkannt. Diese Erfahrung habe ich oftmals gemacht, aber das ist mir mittlerweile egal, denn man sollte an sich selber glauben und das tue ich. Somit verliere ich auch nicht die Begeisterung für die Dinge, die ich tue und mich interessieren und wenn ich deine Arbeiten sehe, die oftmals hervorragend sind, glaube ich, dass du ähnlich denkst, Gerda. Ich wünsche dir weiterhin gutes Gelingen und Glauben an dich selbst.
    Liebe Grüße Alexander

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    • gkazakou schreibt:

      Danke von Herzen für deinen Zuspruch, Alexander. Natürlich hast du recht: die liebsten Menschen deiner ummittelbaren Umgebung finden das, was du treibst, meist nicht umwerfend, sondern bestenfalls akzeptabel. Aber das soll der Liebe keinen Abbruch tun. Und Weitermachen tun Menschen wie du und ich ja sowieso, egal was die anderen sagen. Auch dir weiterhin gute Einfälle und gutes Gelingen! Gerda

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  6. bruni8wortbehagen schreibt:

    Die eigene Handschrift – oh ja, sie ist das wichtigste, da sind wir eins mit uns, versuchen wir uns im Kopieren, dann verbergen wir unser Ich.
    In meinen Collagen liegt viel von mir und in meinen Gedichten/Worten da bin ich auch.
    Manchmal sind sie lasch und dann mal wieder interessanter *g*
    Anders mag ich nicht, könnte ich vermutlich auch nicht. Es ist mir nicht wichtig genug.

    Meine Schreibhandschrift ist auch kaum noch zu ändern und um Menschen nichts Unleserliches zuzumuten, schreibe ich lieber mit dem PC.
    Deine Handschriftenproben finde ich allesamt wunderschön, weil sie Dich abbilden und deshalb sind sie gut, liebe Gerda

    Liebe Abendgrüße von Bruni

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  7. gkazakou schreibt:

    Meine Schreib-Handschrift ist auch sehr unleserlich, liebe Bruni. Ich wurde als Kind auf rechts getrimmt, obgleich eindeutig Linkshänderin (ich zeichne und erledige auch sonst alles mit links). Es wird Zeit, dass ich mich mal wieder auf deinem Blog einfinde. Es erscheint nicht in meiner Mail, drum muss ich es erst mal suchen. Gute Nacht dir! Gerda

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    • bruni8wortbehagen schreibt:

      Ich wurde von meinem Vater auf rechts getrimmt , noch vor der Schule und bin einer der etwas unbekannteren Beidhänder. Ich bügle alles mit links, rühre nur mit links, fange einen Ball mal rechts und mal links, wie´s grade kommt.
      Vieles geht mir links besser von der Hand und anderes eher mit rechts. Ich schreibe auch rechts, aber seit dem 4. Schuljahr schon sehr unleserlich…
      Da war nichts mehr zu ändern.
      Eine meiner Töchter ist Linkshänderin.

      Wenn Du meinen Gravatar aufklickst, siehst Du im unteren Teil meine Webseite u. die dazugehörige Adresse.
      oder klick einfach hier http://wortbehagen.de/index.php
      dann bist Du auf der Startseite *g*

      Einen schönen Sonntagabend wünsche ich Dir
      Bruni

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      • gkazakou schreibt:

        Danke, Bruni, dass du mich an die Hand nimmst, um zu deinem Blog zu kommen, der irgendwie schwer erreichbar zu sein scheint. Nun gehe ich gleich mal hin.
        Ich kann gleichzeitig mit links und rechts schreiben (links in Spiegelschrift). Und meine privaten Notizen während des Schulunterrichts schrieb ich immer links in Spiegelschrift – wie Leonardo da Vinci :). Meine Handschrift (rechtshändig) ist schlecht geblieben und ich habe Orientierungsprobleme (180 Grad-Vertauschung). Die Bedienung von Scheren ist schwierig – aber sonst: kein Problem, mache alles mit links. Wünsche einen lichtvollen Abend!

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      • bruni8wortbehagen schreibt:

        Alles mit links klingt außerordentlich gut
        und dann auch noch Spiegelschrift mit links.
        Bewundernswert,liebe Gerda.
        Da wurden dir viele Gaben in die Wiege gelegt

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      • gkazakou schreibt:

        Übung macht den Meister!. in der Schule hatte ich viel Zeit zum Üben, während der Lehrer vorne was redete.

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      • bruni8wortbehagen schreibt:

        *lach* dein Kopf nahm auch ohne ihn genug auf!

        Liebe grüße von mir

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  8. Ulli schreibt:

    die eigene Handschrift entwickeln, die eigene Bildersprache und wenn man erst einmal etwas zehn Jahre lang gemacht hat, dann kann man es, sagte vor kurzem ein sehr junger Freund von mir zu mir und meinen Bildern- ich zweifel ja immer noch, aber nicht mehr so viel als dass ich es bleiben lassen würde.
    Und was du zur Schule und dem Elternhaus sagts, das unterschreibe ich blindlings
    Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Du hast freilich eine eigene Bildsprache entwickelt, weit mehr als ich. Wenn ich etwas ein wenig begriffen habe, gehe ich zum nächsten. Zehn Jahre, junger Freund? Hab ich nicht. Panta rhei. Die Legebilder haben mir viel Spaß gemacht – ein Jahr lang. Nun suche ich den Faden, den ich früher mal fallengelassen habe, und zeichne wieder. Und bin gespannt, was sich da vielleicht noch entwickeln will. Sei lieb gegrüßt!

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      • Ulli schreibt:

        Nee Gerda, das kann ich so nicht stehen lassen! Auch meine Bilder öndern sich und es ist nicht „die“ Bildsprache, die ich gefunden hätte. Auch ich suche und manchmal finde ich, auch wenn andere sagen, dass sie mich erkennen würden. Ist ja ein schönes Kompliment, aber ich bin nur auf dem Weg und das bist du auch und auch ich würde behaupten, dass ich dich erkennen würde. Vielleicht ist das jetzt anmassend.
        Ich muss immer weiter und so ähnlich spüre ich das auch bei dir. Und wenn es wirklich so ist, dann ist es genau gut so!

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    • gkazakou schreibt:

      du hast recht zu protestieren, Ulli. Was musste ich auch in die Unsitte des Vergleichens verfallen. Ich wollte dir irgendwie bestätigen, dass deine Zweifel fehl am Platz sind. Schlampige Ausdrucksweisen sind aber eher schädlich.
      Übrigens kenne ich dich noch gar nicht lange genug, um über Tendenzen zu urteilen. Welchen Sinn hatte also mein Kommentar? Keinen. Du wirst mir verzeihen. Denn „Fehler, die aus Unwissenheit, aber liebevoll gemacht werden“, verzeihst auch du am ehesten, nicht wahr?

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    • bruni8wortbehagen schreibt:

      Zweifelten nicht viele von denen, die heute berühmt sind?
      Berühmt wollen wir ja nicht werden, aber bitte auch nicht belächelt, obwohl, tut es wirklich weh?

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      • Ulli schreibt:

        Berühmt … das ist auch wieder so was, ich wünsche mir nur von dem was ich tue leben zu können, mehr nicht. Wahrgenommen werden, sich einen Platz in dieser Welt nehmen, das sind so die Überschriften, ein langer Weg ist das! Ich gehe weiter…

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      • bruni8wortbehagen schreibt:

        nur herumstehen ist doof, es sei denn, um nachzudenken…, das ist wichtig
        Also gehen wir – weiter –

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  9. mmandarin schreibt:

    wie oft höre ich den Satz … nein malen kann ich nicht .. ich selber habe ihn mir auch jahrzehntelang gesagt … wie schade um die vertrödelte Zeit …. immer dieser blöde Zensor in unserem Kopf… danke für die kleine Lehrstunde in Sachen Loslassen ..Marie

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  10. mmandarin schreibt:

    die vierte Zeichnung von Unten habe ich nun als Bildschirmhintergrund festgelegt … es hat so eine Lebendigkeit, danke

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  11. Liebe Gerda,
    weil ich finde, dass das ein wirklich wunderbarer Beitrag ist und weil ich mich grad auch mit der eignen Handschrift – vor allem ihrer Sichtbarkeit für andre – beschäftige, hab ich das mal eben bei Facebook geteilt. Meine Fragen bettreffen zur Zeit eher so was wie: Wer kann welche persönlichen Botschaften mit welchen Mitteln/in welchem Medium „entziffern“, gar verstehen? Braucht man dazu vielleicht sogar eine „Dolmetschrin“? Das Problem dabei ist, dass das zwei Bereiche zu sein scheinen, die meilenweit voneinander entfernt liegen… Ich tue das unter der Überschrift „PR-Strtategien für Selbstständige“. Und mir ist völlig klar, dass allein bei dem Wort „PR“ bei vielen künstlerisch Arbeitenden die Jalousien wie von selbst runterrollen… Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Botschaften manchmal übersetzt werden müssen, damit sie verständlilch werden… Nicht jede/r hat das Vorwissen dafür. Und leider sind allzu wenig Menschen – auch nur als Betrachter – dazu bereit, sich allein auf ihr eignes emotionales Urteil zu verlasssen. Und das genau ist ja im kreativen Prozess erst recht der neuralgische Punkt: sich auf sich selbst, sein Gefühl verlassen zu können, den eignen „Linien“ zu folgen (ganz egal, ob grade oder krumm…)
    Herzlichen Gruß
    Maria (die viel zu lang nicht mehr auf deiner wunderbaren Seite war….)

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