Geschichtengenerator in Aktion
Luise, ältere Dame mit Hut – Atelier – ich habe dich nicht erkannt.
Fünf Tage später stand sie vor der Tür. Ich hatte nicht mehr mit ihr gerechnet und erkannte sie nicht, als ich auf ihr Klopfen hin öffnete. Eine hochgewachsene ältere Frau mit Strickmütze und einer etwas schäbigen gefütterten Jacke streckte mir die Hand entgegen und sagte: „Hier bin ich also. Vielen Dank für die Blumen“. Luise! „Ich habe dich nicht erkannt, pardon“, murmelte ich, und kam mir recht dümmlich vor. Luise lachte: „Das scheint bei dir die Regel zu sein, mein Lieber! Lässt du mich nun rein, oder soll ich hier in der Kälte anwachsen?“
Sie hatte so ihre Art, mich verlegen zu machen, keine Frage. Ohne weitere Höflichkeitsfloskeln schritt sie an mir vorbei ins Atelier und steuerte gleich den Holzofen an, in dem ein kräftiges Feuer brannte, rief sich die Hände, schaute sich um, entledigte sich ihrer Jacke, schaute sich wieder um, machte ein paar Schritte zu einem Tischchen, auf dem ich allerlei Krimskrams abgestellt hatte. Mit einer Tasse und einem Teebeutelchen kehrte sie zum Ofen zurück und bediente sich aus dem siedenden Wasser im Kessel. Die nun volle warme Tasse hielt sie in ihren Händen, als sei es ein kleines schnurrendes Kätzchen. Fast meinte ich, das Schnurren zu hören, aber es war wohl doch der Wasserkessel, der vor sich hin sang.
Angestrengt dachte ich nach, wie ich sie ansprechen sollte. War das „Du“ angebracht? Oder sollte ich auf dem „Sie“ bestehen, um Distanz zu schaffen? Sollte ich an die alte Zeit anknüpfen, als sie Modell und ich Student war? Oder gab die Erzählung von Nina etwas her? „Du hast bei Nina gewohnt, hat sie mir erzählt“ oder „Sie waren noch sehr jung damals, als Sie in der Akademie zu arbeiten begannen, nicht wahr?“ oder vielleicht „Was hat Sie in unser Städtchen geführt?“ oder auch: „Nina hat mir erzählt, dass Sie früher in der Kunstakademie gearbeitet haben, aber ehrlich gesagt habe ich Sie nach so vielen Jahren nicht gleich wiedererkannt“.
Luise enthob mich der Schwierigkeit. Sie schritt, die Tasse an ihre dünne Brust gedrückt und ab und an ihre Nase in dem Dampf, der daraus emporstieg, badend, die Wand ab, an der ich einige meiner Bilder aufgehängt hatte, begutachtete auch das Gemälde, das ich auf der Staffelei in Arbeit hatte.
Sie drehte Leinwände, die an der Wand lehnten, um und guckte drauf, drehte sie zurück,
stellte die Tasse ab, um ein Dossier mit Zeichnungen zu öffnen, kurzum, sie nahm von mir nicht die geringste Notiz. Und so hatte ich Zeit, sie zu beobachten und zu versuchen, mich zu erinnern. Unter dem weiten Pullover und den abgetragenen Jeans der überschlanke Leib mit dem kleinen Busen, der Winkel, den die Hüfte bildete, wenn sie stehen blieb, die Neigung des Halses, des Kopfes. Als ich bei der Rundung ihres Hinterns und der Form ihrer Oberschenkel angekommen war, wendete sich mir zu und sagte: „Damit es dir leichter wird, dich zu erinnern“. Mit schnellen Bewegungen streifte sie Pullover und Jeans, Hemdchen und Slip ab, entledigte sich auch der Schuhe und Socken. Nur die Wollmütze hatte sie noch auf dem Kopf. Doch auch die nahm sie ab und warf sie auf mein Sofa, griff sich stattdessen einen Hut vom Hutständer und setzte den auf. „Na, wie sieht es aus? Ältere Dame mit Hut. Du brauchst, wie ich sehe, dringend ein Modell. Und ich brauche Arbeit. Willst du es noch mal mit mir versuchen?“
Und da stehe ich nun seit gestern und mache eine Zeichnung nach der anderen, gierig jeder Linie ihres Körpers folgend, entdecke sie wieder, die Luise von damals, in dem abgetragenen Leib von heute. Wir sprechen wenig, und so habe ich ihre Geschichte noch nicht erfahren. Nach meiner hat sie nicht gefragt, wahrscheinlich ist sie ihr egal.
Bei dieser Geschichte freut es mich besonders, dass sie weitergeht und ich habe auch große Freude an den Bildern!
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heiß das, dass du eine Fortsetzung möchtest?? Stehe gern zu Dienste. 🙂
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Das würde mich wirklich sehr freuen!
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da bin ich ja nun im Wort ….
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Schön, auch einmal nicht collagierte Arbeiten von dir zu sehen.
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O, ich habe schon öfter welche gezeigt, auch bessere als diese 😉 Dank für dein Interesse.
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Ich weiss, Gerda, aber trotzdem gehen deine gemalten Bilder in der Vielzahl der gelegten Bilder unter. Das ist jedoch mein subjektiver Eindruck. 🙂
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du hast schon recht, Susanne. Dieses Blog ist halt entstanden, um meine Bildgeschichten zu transportieren. Für die gemalten Sachen war ich bei ArtStack ziemlich aktiv, habe nun aber keine rechte Lust mehr dazu. Mir gefällt der Austausch unter den Bloggern. Die Bildgeschichten eignen sich als Kommunikationsform besser als gemalte Kunst, die ja durch das Fotografieren und die kleinen Formate arg verliert. Zeichnungen wie du sie machst, und die Zusammenarbeit mit Jürgen – das geht auch gut.
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Deine Fortsetzung gefällt mir sehr, liebe Gerda und ich freue mich auf mehr! Liebe Grüsse Ulli
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ich arbeite dran, liebe Ulli 🙂
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Pingback: Geschichtengenerator: John – Täter oder Opfer? | GERDA KAZAKOU