Schatten und Schattenspiele

Als Odysseus im ewig düsteren Land der Kimmerer ankommt, dort, wo der Okeanosstrom ins Weltmeer mündet, bringt er einige Opfer dar. Vom Blut der Opfertiere angezogen, steigt herauf das Gewimmel der „Luftgebilde der Toten“ – so die deutsche Übersetzung des Homerischen Textes. Schatten sind es, die heraufdringen aus dem Reich des Hades:  Gefallene, junge Mädchen, Familienväter, Helden. Auch Odysseus’ Mutter ist unter den Schatten, denn sie starb, während der Sohn im fernen Krieg weilte. Odysseus wehrt sie alle mit blankem Schwert ab, denn zuerst will er sein eigenes Schicksal erfahren. Das aber kann ihm nur der weise Theresias deuten.

Odysseus‘ Totenopfer

Was sind Schatten? In meinem Legebild haben sie zu viel Substanz, also unterziehe ich sie einer elektronischen Bearbeitung. Nun wimmeln sie durcheinander, bläulich, luftig, ihre Konturen überschneiden sich, die Gebilde werden durchsichtig. Dennoch erkennt ihr sie noch, nicht wahr? Die Mutter, den Redner, den Poeten, die Hübsche und den Rechthaber, vielleicht auch eine der Töchter des Danaos.

Odysseus in der Unterwelt (c) Gerda Kazakou

Das Blut der Opfertiere lockt die Schatten heran, so als könnten sie sich noch einmal mit dem lebendigen Blutstrom verbinden und noch einmal werden, was sie waren: Held, Mutter, jung verstorbene Geliebte. So die griechische Vorstellung von dem, was uns nach dem „Abscheiden“ erwartet.

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Die Schatten der Toten streben zum Blut des Opfertiers (c) Gerda Kazakou

In der Welt der Lebenden tragen wir alle unseren Schatten mit uns herum. In der Welt der Toten löst er sich von uns, verselbständigt sich, bleibt zurück, während die lebendige Form vergeht.

auf dem Glatteis

Bis es so weit ist und wir alle Schatten im Schattenreich werden, drehen wir stolz unsere Pirouetten auf dem glatten Parkett des Welttheaters – bemüht, unser Gleichgewicht zu halten. Kaum bewusst sind wir unseres Schattens, der uns auf Schritt und Tritt folgt und der da sein wird, wenn wir nicht mehr sind.

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Dies ist, wenn ihr so wollt, eine antik-barocke Sicht der Dinge. Was haben wir Christenmenschen heute dagegen zu setzen?

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Antworten zu Schatten und Schattenspiele

  1. afrikafrau schreibt:

    sehr gelungen und die Frage berechtigt……….

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  2. hellajm schreibt:

    Ja, das ist die dunkle Kehrseite der antiken Diesseitsfreudigkeit.
    „Lieber ein Bettler in der Oberwelt als ein König im Reich der Schatten“, sagt der Held Achilleus.
    Und nun willst Du eine christliche Anrwort?
    Was bleibt, ist das unzerstörbare Ich (Goethe: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt“) und wenn es gut geht, eine Formkraft als Essenz des gelebten Lebens, die uns bleibt und in die nächste Inkarnation begleitet.
    Esoterisch? Anthroposophisch? Klar, wenn Du schon so fragst.
    Die Bildfolge ist schön und vollständig heidnisch.

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  3. Ulli schreibt:

    Liebe Gerda,
    es ist so ein ganz anderer Schatten von dem du sprichst … wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann geht es hier um die Seelenwanderung? Die Seele, die ins sogenannte Schattenreich abtaucht und auf ihre Wiederkehr wartet, denn das will sie ja anscheinend, wenn der frische Blutgeruch eines Opfertieres sie anlocken kann und doch, was ist das für eine Seele, die nur wieder in ihr Altes zurückkehren will, will sie das, damit sie es dann besser machen kann? Ich denke an Sartre: Das Spiel ist aus-
    Als ich von den Schatten schrieb, dachte ich an C.G.Jung und dem, was er Schatten nennt, nenne ich sie die ungeliebten und/oder unerkannten Anteile des Selbsts. Bleie ich bei dem Bild der Seelenwanderung, dann kommen alle Anteile am Ende mit, die geliebten und erkannten, wie die ungeliebten und unerkannten, beide bestimmen den Sterbeprozess und vielleicht den Ort, die Familie der Wiedergeburt …

    wie auch immer noch, deine Legearbeit und dein „Spiel“ mit der Transparenz gefallen mir sehr.
    herzliche Grüsse
    Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      danke! Ich dachte mir, dass du Jungs Schattenbegriff im Sinne hattest. „Schatten“ hat halt viele Bedeutungen. Ich spiele mit dem „Schattenreich“ der Alten. Mit Seelenwanderung hat das nichts zu tun, im Gegenteil: die ehemals lebende Menschen existieren nach homerischem Glauben weiter als Schatten in der Unterwelt – ohne irgendwelche Entwicklungsmöglichkeiten zu haben. Sie sehnen sich nach Blut, um nochmal ganz kurz „real“ zu werden, sich zu erinnern. Das ist eine schrecklich pessimistische Weltsicht, finde ich, die aber die Griechen zu höchster Lebensfreude getrieben hat: JETZT musst du leben, denn danach ist NICHTS. „Lieber Sklave hier, als König in der Unterwelt“, sagten sie. Der Unterschied zum christlichen Glauben besteht darin, dass die Seelen der Toten bei den Christen in einer Art Wartestand sind: Am Tag des „Jüngsten Gerichts“ werden sie entweder die ewige Seligkeit oder den ewigen Tod finden. Auch sie können sich nicht entwickeln, aber ihre Hoffnung auf Ewiges Leben treibt sie dazu, das Erdenleben gering zu achten.
      Unterhalb dieses „Volksglaubens“ gab es immer auch die Vorstellung des nachtodlichen Lebens und der Wiedergeburt. Das findest du zB bei Heraklit, bei Pythagoras, bei den Mysterien von Eleusis, und später in der christlichen Mystik. Diese Vorstellungen wie ja auch die moderne Esoterik sind vom altindischen Gedankengut inspiririert.
      Mit liegt am meisten die Vorstellung, dass wir in einer Entwicklung sind von Leben durch den „Tod“ (der auch Leben ist, aber in einem anderen Zustand) zu Leben usw, dass wir uns mal als Mann, mal als Frau, in verschiedenen Rassen und Lebensverhältnissen und in immer neuen Konstellationen mit den Menschen, denen wir karmisch verbunden sind, inkarnieren und so die gesamte Menschheitsgeschichte in uns abarbeiten. …. Das wäre ungefähr meine Antwort auf die Frage, was wir dem „Schattenreich“ der Alten entgegensetzen können.

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      • Ulli schreibt:

        Danke Gerda für deine ausführliche Antwort, ich bin schon wieder müde und kann nur schwer denken, aber nun habe ich wieder etwas mehr verstanden und wende es dennoch in mir, jetzt mehr mit der Frage was all diese verschiedenen Glauben und Denkmodelle mit uns machen, wem sie dienen und wem nicht …
        sei von Herzen gegrüsst
        Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      liebe Ulli, wie gut ich deine Fragen verstehe – und auch deine Müdigkeit. Ruh dich aus, du Liebe. Ich geh jetzt eine Runde mit dem Hund. Es ist ein wenig kalt und grau da draußen, aber das macht uns nichts aus. Gerda

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      • Ulli schreibt:

        jetzt weiss ich, was es ist mit der Müdigkeit, mich hat eine dicke Erkältung ereilt, also eben ruhen, pflegen, denken, lesen, manchmal ein paar Worte kritzeln, und gestern, auch wegen den „Schatten“ nach langer Zeit noch einmal „Der Himmel über Berlin“ geschaut, gute Filme kann man immer wieder anschauen und entdeckt immer noch etwas Neues …
        Später dachte ich an all das, was wir nicht sehen, nur spüren können und daran, dass es Orte für Schatten und Orte für Engel gibt …
        herzliche Sonntagmittaggrüsse, auch von Bruni (soll ich ausrichten)
        Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Hab herzlichen Dank für diesen Nachtrag, liebe Ulli. ich wünsche dir, dass die Erkältung dir die nötige Bettruhe abverlangt, so dass du Zeit hast für eine neue Justierung. Dass es „Orte für Schatten“ und „Orte für Licht“ gibt – das kann ich nicht recht nachvollziehen. Für mich treten beide gleichzeitig und gemeinsam auf, wie ich in meinem letzten Beitrag zu demonstrieren versuchte (Pirouette). Ich bin, glaube ich, nie ganz glücklich oder ganz unglücklich, mal überwiegt die Freude, mal die Trauer. Nicht vorstellen kann ich mir einen Tag oder eine Beziehung, wo die Dunkelheit fehlt, noch eine/n, der/die vollkommen finster ist.
      Nun wünsche ich dir, dass die Gesundheit überwiegt und du bald wieder bei guten Kräften bist. Danke für die übermittelten Grüße von Bruni.

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