Der Poet und die versunkene Stadt Vineta

Der Poet – das ist natürlich Heinrich Heine. Sein Poetengaul ist kein Pegasus. Es trägt ihn nicht in fröhlichem Schwung über Höhen und Tiefen der Welt. Sein Gaul ist ein hybrides Ding – halb Schiff, halb Esel -, dem ein Vogel auf dem Rist hockt und eine Schlange entgegenzüngelt. Allerlei Zitatenschätze schleppt es mit sich herum, die Beine sind schwach und die Flügel – o weh!

the poet

Der Poet und das versunkene Vineta (c) Gerda Kazakou

Zum Vergleich ein richtigeer Pegasus:

Pegasus

Triumph des Poeten (c) Gerda Kazakou

Heinrich Heine ist ein moderner Mensch, der, so oft er sich auch bricht an der üblen Welt um ihn her, sich immer wieder zusammensetzt. Und so schrieb er also auch Das Seegespenst. O, er kennt seine literarischen Quellen, bastelt sie neu zusammen, schafft ironische Distanz – und zieht den Leser doch unweigerlich mit hinab in die Tiefen, aus denen ihm das eigene Sehnsuchtsbild entgegenblickt. (Ich habe mir gestattet, dieses „Sehnsuchtsbild“ ein wenig umzugestalten. Aus dem braven Mädchen im altmodischen Häuschen machte ich ein am Meeresgrund ausgestrecktes nacktes Weib).

Das Seegespenst

Ich aber lag am Rande des Schiffes, /Und schaute, träumenden Auges,/ Hinab in das spiegelklare Wasser, / Und schaute tiefer und tiefer -/ Bis tief, im Meeresgrunde, /Anfangs wie dämmernde Nebel, / Jedoch allmählich farbenbestimmter, /Kirchenkuppel und Türme sich zeigten, /Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt ….  ….. …… ……
Mich selbst ergreift des fernen Klangs / Geheimnisvoller Schauer! /Unendliches Sehnen, / tiefe Wehmut / Beschleicht mein Herz, / Mein kaum geheiltes Herz; -/ Mir ist, als würden seine Wunden / Von lieben Lippen aufgeküßt, / Und täten wieder bluten … ….. …..
Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind! /

So tief, meertief also / Verstecktest du dich vor mir, / Aus kindischer Laune, / Und konntest nicht mehr herauf, /Und saßest fremd unter fremden Leuten ….   …….. ….. …..
Und nimmer will ich dich wieder verlassen, / Und ich komme hinab zu dir, / Und mit ausgebreiteten Armen / Stürz ich hinab an dein Herz –

Aber zur rechten Zeit noch / Ergriff mich beim Fuß der Kapitän, / Und zog mich vom Schiffsrand, / Und rief, ärgerlich lachend: /Doktor, sind Sie des Teufels?

Das eigene Sehnsuchtsbild – das Mädchen-Weibchen – lebt wie ein Fremdling in der versunkenen Stadt Vineta. Denn um diese handelt es sich, wenngleich Heine sie nach Flandern verlegte. Ihr kennt die Legende nicht?

Dort, wo die Peene in die Ostsee mündet, lag das reiche, glückliche Vineta. Doch weil seine Bürger und Bürgerinnen hochmütig und der Prunksucht verfallen waren, suchte der Gott der Meere sie mit einer Sturmflut heim, sie versank mit Mann und Maus, goldenen Bechern und Glockengeläut.

Alles Schmu und Seemannsgarn? Dann lest mal nach bei dem gelehrten Kirchenmann Adam von Bremen (ca 1050-1085), der in seinen Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum schreibt: Hinter den Liutizen, die auch Wilzen heißen, trifft man auf die Oder, den reichsten Strom des Slawenlandes. Wo sie an ihrer Mündung ins Skythenmeer fließt, bietet die sehr berühmte Stadt Jumne (synonym für Vineta, d. A.) für Barbaren und Griechen (sic!) in weitem Umkreis einen viel besuchten Treffpunkt. Weil man sich zum Preise dieser Stadt allerlei Ungewöhnliches und kaum Glaubhaftes erzählt, halte ich es für wünschenswert, einige bemerkenswerte Nachrichten einzuschalten. Es ist wirklich die größte von allen Städten, die Europa birgt. Die Stadt ist angefüllt mit Waren aller Völker des Nordens, nichts Begehrenswertes oder Seltenes fehlt.“

Na also! Vineta existierte! Aber Vineta versank wegen des Übermuts seiner Bewohner auf dem Grund des Meeres. Im Jahre 1933 wollte jemand, der sich zeitlebens als „Ideengeber Adolf Hitlers“ feierte, ein Neues Vineta errichten. Das sollte eine Brutstätte rein arischer Menschen werden. Heinrich Heine hätte keine Chance gehabt, dort sein Liebchen zu besuchen. Denn nicht nur war dieser Mann, der sich Lanz von Liebenfels (sic!) nannte, ein geschworener Antisemit und Frauenhasser, sondern …. Aber lassen wir das.

Lanz von Liebenfels, der Wien seit 1905 mit seinem antisemitischen Schriftgut flutete, der die faschistischen Diktaturen und den Kolonialismus pries, der passionierte „Eugeniker“. „Prophet“ und „Ariosoph“ Jörg Lanz also, träumte von einem Neu-Vineta. Der Blödmann! Ausgerechnet eine versunkene Stadt für sein Jahrtausendprojekt.

Dennoch hatte er Glück. Denn er lebte in einer anderen Epoche als Heinrich Heine und entging so dessen vernichtendem Spott.

Und auch Heinrich Heine hatte Glück, dass er ihm nicht begegnen musste.  Denn auch ohne diesen Lanz war sein Schlaf gestört. Denk ich an Deutschland in der Nacht / so bin ich um den Schlaf gebracht.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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8 Antworten zu Der Poet und die versunkene Stadt Vineta

  1. hellajm schreibt:

    Sehr gelungen, Text und Bilder!
    Und wie schön, daß Heinrich Heine zu Ehren kommt, sein Seegespenst gewürdigt neben den griechischen Mythengeschichten.

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  2. Pingback: Heinrich Heine, Das Seegespenst | GERDA KAZAKOU

  3. bruni8wortbehagen schreibt:

    Was für ein wundervoller Text über Vineta, die lange versunkene Stadt am Meer, liebe Gerda!
    Ich mag sie so sehr, Dein Art, Deine hoch informativen Texte mit leichtem flüssigem Humor auf eine Schippe zu nehmen, die ihnen ausgesprochen gut steht!
    Man liest konzentriert und plötzlich kommt auflockernd eine kleine Anmerkung, die so leicht und fein gestrickt ist, daß sie der weiteren Konzentration ausgesprochen gut dient 🙂
    So bleiben neue Infos auch gut im Gedächtnis haften. Wenigstens ist es bdei mir so.

    Nur die nackte Frau am Meeresgrund, die suche und finde sie nicht, liebe Gerda. Sie verdteckt sich schamhaft vor mir. Muß sie doch nicht… Aber ach, DA, ich erkenne im ersten Bild eine wasserblaue hingestreckte Gestalt! DAS kann sie sein. Hurra!

    Liebe Grüße zum Sonntag von mir

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  4. gkazakou schreibt:

    nur Kopf und Hals sind wasserblau, liebe Bruni. Da du mir so einen wunderbaren Kommi geschickt hast, sage ich dir auch, wie du die Nackte findest. Schau einfach die weiße Form in dunklen Umrahmung an, die den ganzen unteren Teil des Bildes füllt. Vom wasserblauen Hals gen Westen triffst du auf ein goldenes Brustwärzchen, dann auch schon bald auf ein lächelndes Dreieck, das du für das „Geschlechtsorgan“ – o je, gibt es denn kein schöneres deutsches Wort dafür? Heinrich hilf! – nehmen kannst. Dann wird es dir auch nicht mehr schwer fallen, die weißen Beine zu identifizieren, die sich langsam verflüssigen.
    So, und jetzt muss ich deinen Kommi gleich nochmal lesen, um mich an ihm zu delektieren.
    Sei von Herzen gegrüßt – nun wieder aus Athen!

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  5. Pingback: Zunge ab | GERDA KAZAKOU

  6. PPawlo schreibt:

    Das ist ein faszinierender Beitrag für mich! Spukt doch das Bild der versunkenen Kathedrale (in einer versunkenen Stadt) immer wieder durch meine Bilder und Beiträge. Ich kenne eine ganz ähnliche Geschichte aus der Bretagne (La ville d’Ys) und mir sind auch international schon ähnliche Geschichten begegnet. Künstler nähren sich vom Bild des Versunkenen wie das in Worpswede der Fall war, bei Débussy mit seiner Cathédrale engloutie zu finden ist etc, mehr dazu in meinen Beitrag https://pawlo.wordpress.com/2008/11/14/check-out-my-slide-show-3/
    Auf deinem ersten Bild habe ich übrigens 2 Frauen entdeckt: zuerst deine und dann Brunis .
    Interessant und für mich neu, aber verständlich ist die Assoziation der versuknenen Stadt mit einer Frau. Noch einen schönen Sommerabend, Petra

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